Entscheidungsstichwort (Thema)
Lebensaltersstufen nach § 27 BAT. Altersdiskriminierung. Ausgleichsanspruch. Ausschlussfrist
Leitsatz (amtlich)
Eine tarifliche Regelung, in der die Grundvergütung der Höhe nach Lebensaltersstufen gestaffelt wird, ist wegen unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters i. S. d. §§ 1, 3 AGG unwirksam.
Die hierdurch eintretende unmittelbare Benachteiligung ist nicht im Sinne des AGG gerechtfertigt.
Folge dieses Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters ist, dass die leistungsgewährenden, nicht benachteiligenden Tarifbestimmungen auf diejenigen Personen zu erstrecken sind, die entgegen den Benachteiligungsverboten von den tariflichen Leistungen ausgeschlossen wurden.
Der Arbeitgeber kann sich im Hinblick auf den Verstoß gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Verfolgt der Arbeitnehmer lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den zuvor Begünstigten, kommt dem Arbeitgeber weder die Haftungsprivilegierung des § 15 Abs 3 AGG noch die Ausschlussfrist des § 15 Abs 4 AGG zugute.
2. Die Frist des § 70 BAT zur Geltendmachung des Anspruchs auf eine höhere Vergütung wegen Altersdiskriminierung durch Lebensaltersstufen begann mit dem Inkrafttreten des AGG im August 2006 (vgl LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2008 – 20 Sa 2244/07 –). Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits die Nichtigkeit der Tarifregelungen bekannt war.
Normenkette
BAT § 27 Abschn. A Abs. 1 S. 1; AGG §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1-2, § 10 Sätze 1, 3 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 2, 1, § 15 Abs. 3, 4 S. 1, § 10 S. 2; EGRL 78/2000 Art. 6 Abs. 1; BGB § 242; BAT § 70; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; AGG § 15 Abs. 4 S. 2; BGB § 1004 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Marburg (Urteil vom 17.04.2009; Aktenzeichen 2 Ca 76/09) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 17. April 2009 – 2 Ca 76/09 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst.
Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin Grundvergütung gemäß der Vergütungsgruppe V b der Anlage 1 a zum BAT nach der höchsten Lebensaltersstufe dieser Vergütungsgruppe für die Zeit vom 1. Mai 2008 bis zum 31. Dezember 2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 2/3 und das beklagte Land 1/3 zu tragen.
Für das beklagte Land wird die Revision zugelassen, im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Höhe des der Klägerin zustehenden Gehaltes.
Die … geborene Klägerin, die Gewerkschaftsmitglied ist, arbeitet aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 31. Juli 2002 bei dem beklagten Land als Erzieherin. Wegen des Wortlautes des Arbeitsvertrags wird auf die Kopie Bl. 4 f. d. A. Bezug genommen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesangestelltentarifvertrag und die diesen jeweils ergänzenden oder ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung Anwendung. Die Klägerin ist in die Vergütungsgruppe V b der Anlage 1 zum BAT eingruppiert und erhält ihre Vergütung entsprechend der jeweils maßgeblichen Altersstufe. Das beklagte Land trat mit Wirkung zum 31. März 2004 aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) aus, die mit Wirkung zum 1. November 2006 einen neuen Tarifvertrag (TV-L) mit den Gewerkschaften abgeschlossen hat. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 25. November 2008, wegen dessen Wortlauts auf die Kopie Bl. 8 d. A. Bezug genommen wird, die Zahlung der Vergütung gemäß der höchsten Lebensaltersstufe ihrer Vergütungsgruppe geltend, welches dem beklagten Land am 27. November 2008 zuging. Im November 2009 schloss das beklagte Land mit den Gewerkschaften neue Tarifverträge – unter anderem den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) – ab, die mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 für die Beschäftigten des beklagten Landes gelten und den bisher geltenden BAT ablösen.
Die Klägerin hat in ihrer dem beklagten Land am 17. Februar 2009 zugestellten Klage die Ansicht vertreten, die Zahlung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen, wie sie der BAT vorsehe, stelle eine unzulässige Altersdiskriminierung dar, die auch nicht durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei. Deshalb sei die differenzierte Bezahlung nach Lebensaltersstufen rechtswidrig und das beklagte Land schulde ihr für den Zeitraum seit Inkrafttreten des AGG Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhaltes, des weiteren Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Marburg vom 17. April 2...