Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelndes Feststellungsinteresse bei abgelaufener Arbeitsanweisung. Gebot der Prozesswirtschaftlichkeit im Berufungsverfahren. Feststellungsklage einer Krankenschwester gegen Einsatz auf interdisziplinärer Station. Keine sachdienliche Klageänderung in Berufung bei neuem Prozessstoff
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitnehmer kann grundsätzlich die Wirksamkeit einer Weisung im Wege der Feststellungklage klären lassen. Allerdings fehlt das Feststellungsinteresse für die Klage, wenn die Arbeitsbedingungen durch die angegriffene Weisung nicht mehr konkretisiert werden, weil der Arbeitgeber eine neue Weisung erteilt hat.
Eine Klageänderung in der Berufungsinstanz ist nicht sachdienlich i.S.d. § 533 ZPO, sofern das Gericht bei Zulassung neuen Vorbringens zur Beurteilung und Entscheidung eines bis dahin zwischen den Parteien nicht erörterten Streitstoffs genötigt würde und der Rechtsstreit ohne Berücksichtigung des neuen Vorbringens entscheidungsreif wäre. Der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit streitet insbesondere dann gegen die Berücksichtigung des neuen Parteivorbringens, wenn gerichtliche Hinweise und Auflagen erforderlich wären.
Normenkette
GewO § 106; ZPO §§ 256, 533, 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 06.05.2021; Aktenzeichen 4 Ca 2437/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 06.05.2021 - 4 Ca 2437/20 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin, die bis Ende November 2020 als Krankenschwester auf der interdisziplinären Intensivstation eingesetzt wurde, verpflichtet ist, auf Weisung der Beklagten auf der Station 8 B (Onkologie) tätig zu werden.
Die Beklagte führt unter anderem ein Krankenhaus in A. Dort arbeitet die Klägerin seit April 2000. Im Arbeitsvertrag, den die Parteien unter dem 24. März 2000 abschlossen, ist vorgesehen, dass die Klägerin "als Krankenschwester eingestellt" wird. Die Klägerin ist Vertrauensfrau der Gewerkschaft ver.di. Im Jahr 2013 wehrte sich die Klägerin im Ergebnis erfolgreich gegen einen Abmahnung und eine Umsetzung auf die Station 8 B. Sie hat vorgetragen, damals durch eine Abmahnung und Umsetzung gemaßregelt geworden zu sein.
Auf der interdisziplinären Intensivstation werden auch Patienten behandelt, die an COVID-19 erkrankt sind. Das Pflegepersonal muss auf dieser Station bei sämtlichen pflegerischen Tätigkeiten Schutzmasken des Typs FFP2 tragen. Die Richtlinien der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung sehen im Hinblick auf das Tragen von FFP2-Masken vor, dass nach einer Tragezeit von 75 Minuten eine Tragepausenzeit von 30 Minuten erfolgt. Ausweislich einer Gefährdungsbeurteilung, die die Beklagte unter Einbeziehung eines Betriebsarztes durchführte, soll unter anderem auf der Intensivstation eine Tragezeit von 120 Minuten und eine Erholungszeit von 15 Minuten praktiziert werden.
Im November 2020 kam es unter den Arbeitnehmern in der Intensivstation zu Diskussionen über die notwendigen Maskenpausen. Am 20. November 2020 sprach die Klägerin den stellvertretenden Leiter der Intensivstation darauf an, dass es regelmäßig nicht möglich sei, die notwendigen Maskenpausen einzuhalten. Zu dem Gespräch wurde der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung hinzugezogen. Es wurde vereinbart, dass die Klägerin in den nächsten Tagen ausprobieren solle, Maskentragepausen einzuhalten. Die Klägerin wies darauf hin, dieser Vorschlag sei wenig praktikabel, wenn nicht entsprechende personelle und organisatorische Maßnahmen getroffen würden. Am 27. November 2020 fand ein zweites Gespräch zwischen der Klägerin, der Leitung der Intensivstation und Mitgliedern der Mitarbeitervertretung statt. In diesem Gespräch erklärte die Klägerin, dass es unter den gegebenen organisatorischen und personellen Bedingungen der Intensivstation nicht möglich sei, die Regelungen der DGUV zum Tragen von FFP2-Masken einzuhalten; ebenso wenig würden die in der Gefährdungsbeurteilung vorgesehenen Regelungen umgesetzt. Die Stationsleitung legte der Klägerin nahe, die Intensivstation als High-Risk-Bereich zu verlassen. Die Klägerin entgegnete, es gehe ihr darum, die notwendigen Arbeitsschutzbedingungen umzusetzen, sie werde sich in dieser Angelegenheit an die Gewerkschaft ver.di wenden. Zehn Minuten nach dem Ende dieses Gesprächs teilte die Stationsleitung der Klägerin mit, dass angestrebt sei, sie ab dem 30. November 2020 auf eine andere Station zu versetzen. So geschah es: Ab dem 30. November 2020 wurde die Klägerin auf der Station 8 B eingesetzt. Seither bezieht sie nicht mehr den monatlichen Entgeltzuschlag für eine Tätigkeit auf der Intensivpflege in Höhe von 46,02 Euro brutto. Gegen diese Umsetzung wandte sich die Klägerin erfolglos mit anwaltlichem Schreiben vom 2. Dezember 2020. Mit ihrer Klage, die am 24. Dezember 2020 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist, hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.
Sie hat die Anordnung, künftig auf der Station 8 B ...