Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezahlte Freistellung bei Betreuung eines schwer erkrankten Kindes unter 12 Jahren

 

Leitsatz (amtlich)

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die zwar gesetzlich versichert sind, deren erkrankte Kinder jedoch nicht gemäß § 10 SGB V familienversichert sind und die deshalb keinen Anspruch auf Bezug von Krankengeld wegen der Betreuung des Kindes haben, haben neben dem unbezahlten Freistellungsanspruch nach § 45 Abs. 5 SGB V einen tariflichen Anspruch auf bezahlte Freistellung nach § 29 Abs. 1 e) bb) TV-L für die Dauer von bis zu vier Arbeitstagen im Kalenderjahr

 

Normenkette

TV-L § 29

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Urteil vom 17.05.2011; Aktenzeichen 2 Ca 2832/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 17.05.2011 – 2 Ca 2832/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen Kürzungen ihrer Monatsentgelte für Juli und August 2010 um 72,82 EUR und 75,24 EUR. Die Beklagte hat die Abzüge vorgenommen, weil die Klägerin am 27.05.2010 und am 29.06.2010 ihren erkrankten Sohn zu Hause betreut hat und an diesen Tagen nicht gearbeitet hat.

Die Klägerin ist bei der Beklagten teilzeitbeschäftigt in einem Umfang von 30 Wochenstunden. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des TV-L Anwendung. Die Klägerin ist gesetzlich krankenversichert. Ihr Ehemann, der ebenfalls bei der Beklagten tätig ist, ist privat krankenversichert. Der gemeinsame Sohn ist am 29.03.2006 geboren. Der Sohn ist über den Vater privat krankenversichert.

Der Sohn war am 27.05.2010 und am 29.06.2010 krank. In der kinderärztlichen Bescheinigung vom 27.05.2010 ist ausgewiesen, dass die Art der Erkrankung die Betreuung und Beaufsichtigung des Sohnes notwendig machte (Bl. 11 GA). Gleiches hat der Kinderarzt am 28.06.2010 für den 29.06.2010 bescheinigt (Bl. 11 GA). Die Klägerin betreute an beiden Tagen den vierjährigen Sohn und arbeitete nicht bei der Beklagten.

Die Klägerin beantragte zeitnah zu diesen beiden Tagen bezahlte Freistellung nach dem TV-L. Die Beklagte lehnte eine bezahlte Freistellung mit mehreren Schreiben im Juni und Juli 2010 ab (Bl. 12, 13, 14, 15). Stattdessen bot sie der Klägerin Erholungsurlaub oder alternativ eine unbezahlte Freistellung an. Letztlich hielt die Beklagte von dem monatlichen Gehalt der Klägerin für Juli 2010 einen Betrag von 72,82 EUR brutto für den 27.05.2010 und vom Gehalt für August 2010 einen Betrag von 75,24 EUR brutto für den 29.06.2010 ein (Kopie der Bezug Mitteilungen des LBV: Bl. 16, 17 GA). Mit Anwaltsschreiben vom 08.09.2010 forderte die Klägerin Zahlung der einbehaltenen Beträge (Bl. 18, 19 GA). Die Beklagte lehnte dies ab (Schreiben vom 06.10.2010, Bl. 20 GA). Die daraufhin erhobene Klage ist am 02.11.2010 bei dem Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 10.11.2010 zugestellt worden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein tarifvertraglicher Anspruch auf bezahlte Freistellung zu, da sie gegenüber der Krankenkasse kein Krankengeld fordern könne, weil ihr Sohn nicht gesetzlich sondern privat krankenversichert sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie als Vergütung für den 27.05.2010 einen Betrag i.H.v. 72,82 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2010 sowie als Vergütung für den 29.06.2010 einen Betrag in Höhe von 75,24 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, ein tariflicher Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung bestehe nur bei Beschäftigten, die privat versichert seien. Demzufolge hätte vorliegend die Möglichkeit einer Freistellung für den Ehemann der Klägerin bestanden, worauf die Klägerin auch wiederholt hingewiesen worden sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17.05.2011 stattgegeben. Die Klägerin habe gegen die Beklagte gemäß § 29 TV-L in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag einen Anspruch auf Zahlung von 148,06 EUR brutto. § 29 TV-L solle das Entgeltrisiko im Falle einer notwendigen Betreuung eines erkrankten Kindes bei privater Krankenversicherung in einem begrenzten Umfang von bis zu vier Arbeitstagen im Kalenderjahr auf den Arbeitgeber übertragen. Ein bezahlter Freistellungsanspruch nach § 29 TV-L bestehe auch für gesetzlich krankenversicherte Beschäftigte im öffentlichen Dienst, wenn deren erkranktes und zu betreuendes Kind privat krankenversichert sei.

Das Urteil ist der Beklagten am 10.06.2011 zugestellt. Die Beklagte hat am 24.06.2011 Berufung eingelegt und die Berufung nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 12.09.2011 am 08.09.2011 begründet.

Die Beklagte wendet ein, entgegen der Wertung des Arbeitsgerichts habe die Klägerin keinen Anspruch auf Nachzahlung der Vergütung für den 27.05.2010 in Höhe von 72,82 EUR brutto sowie für den 29.06.2010 in Höhe von 75,24 EUR brutto...

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