Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Überentgelten im Beitrittsgebiet. Fehlinformation durch den Arbeitgeber. Verfassungsmäßigkeit des § 256a SGB 6
Leitsatz (amtlich)
Keine Anwendung der Vorschriften über die Berücksichtigung von Verdiensten oberhalb einer Beitragsbemessungsgrenze im Beitrittsgebiet (sog Überentgelte), wenn ein Versicherter aufgrund einer Fehlinformation seines Arbeitgebers irrtümlich davon ausgegangen ist, dass eine Höchstgrenze zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung bestand.
Orientierungssatz
Zur Verfassungsmäßigkeit des § 256a SGB 6 (Anschluss an BVerfG vom 13.12.2002 - 1 BvR 1144/00 = SozR 3-2600 § 256a Nr 9).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. April 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Geltendmachung weiterer Entgeltpunkte für die von ihm im Beitrittsgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten in den Jahren 1977 bis 1991.
Der 1944 geborene Kläger war nach seiner Ausbildung zum Schlosser beim R. (1959 bis 1961) in diesem Beruf bis 1964 beschäftigt. Anschließend war er bis 1971 als Reifenmacher im R. und anschließend bis 1973 als Wachser in einer Papierfabrik sowie bis 1975 als Gaststättenleiter versicherungspflichtig tätig. Am 21.10.1975 nahm er erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Reifenmacher im R. auf, die er bis zum 06.09.1991 (ab dem Jahr 1987 als Meister) fortsetzte. Vom 04.11.1978 bis 26.04.1979 war er als Reservist bei der Nationalen V. (N.) eingezogen.
In seinem Ausweis für Arbeit und Soziales sind für die Zeit von 01.01.1977 bis 30.06.1990 beitragspflichtige Gesamtarbeitsverdienste zwischen 3.600 Mark und 7.200 Mark ausgewiesen. Ab dem 01.03.1977 zahlte der Kläger außerdem Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (F.). Aus seinem Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung ergeben sich für die Zeit bis 30.06.1990 hierzu ebenfalls Beitragszahlungen für weitere Gesamtarbeitsverdienste zwischen 3.600 Mark und 7.174 Mark.
Mit Bescheid vom 26.01.2005 gewährte die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg (LVA) dem Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit ab 01.01.2005. Dabei legte sie die im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung enthaltenen Beitragszeiten und Beitragszahlungen zugrunde. Ferner erkannte sie für die Jahre 1979 bis 1989 diverse Arbeitsausfalltage an.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, den er jedoch am 22.08.2006 zurücknahm.
Mit Bescheid vom 07.11.2006 bewilligte ihm die Beklagte eine höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit ab 01.01.2005 wegen Anerkennung einer weiteren Beitragszeit (18.01.1964 bis 17.06.1964).
Am 05.12.2006 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf “Überprüfung seiner Zeiten in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR)„. Zur Begründung führte er an, in seinen Gehaltsabrechnungen seien höhere Verdienste aufgeführt als bislang von der Beklagten bei der Ermittlung der Entgeltpunkte berücksichtigt. Hierzu legte er Lohnbescheinigungen der R. GmbH (im Folgenden R.) vor, einem Unternehmen, dem die Archivierung von Lohnunterlagen im Beitrittsgebiet übertragen worden ist. Mit Bescheid vom 18.09.2007 lehnte die Beklagte seinen Antrag ab. Als Verdienst zählten nicht nur der tatsächliche Arbeitsverdienst, für den Pflichtbeiträge oder Beiträge zur F. gezahlt worden seien, sondern auch die nachgewiesenen Arbeitsverdienste vor dem 01.07.1990, für die wegen der im Beitrittsgebiet geltenden Beitragsbemessungsgrenze (BBG) solche Beiträge nicht gezahlt werden konnten. Für Versicherte, die berechtigt seien, der F. beizutreten, gelte dies für Beiträge oberhalb der jeweiligen BBG zur F. nur, wenn die zulässigen Höchstbeträge zur F. gezahlt worden seien. Der Kläger habe die Beitragszahlung jedoch vertraglich auf monatlich 1.200 Mark begrenzt. Ab dem 01.03.1971 sei eine höhere Beitragsentrichtung möglich gewesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 11.10.2007 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die Versicherung in der F. sei nur möglich gewesen, wenn der Verdienst die BBG überschritten habe. Die Beitragszahlung zur F. sei auf 1.200 Mark begrenzt gewesen.
Mit Bescheid vom 06.02.2008 berechnete die Beklagte die Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Zeit ab 01.01.2005 neu unter Berücksichtigung eines höheren Verdienstes für die Zeit vom 01.01.1971 bis 28.02.1971. Der Kläger habe für diesen Zeitraum Entgelte oberhalb der BBG nachgewiesen. Für die Folgezeit nachgewiesene Entgelte könnten nicht berücksichtigt werden, weil entweder ein Beitritt zur F. nicht erfolgt sei bzw. der Kläger die Möglichkeit der Beitragszahlung nicht voll ausgeschöpft habe. Hiergegen legte der Kläger ebenfalls Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 11.10.2007 zurück. ...