Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bei Verschlossenheit des Arbeitsmarktes
Orientierungssatz
1. Der Versicherte, der nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB 6 teilweise erwerbsgemindert ist, hat nach der Rechtsprechung des BSG Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn ihm der Arbeitsmarkt verschlossen ist.
2. Trotz einer noch sechsstündigen Einsetzbarkeit des Versicherten kann ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehen, wenn eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen besteht. In einem solchen Fall ist der Rentenversicherungsträger verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen.
3. Der Arbeitsmarkt ist dem Versicherten u. a. dann verschlossen, wenn ihm die sog. Wegefähigkeit fehlt. Ein entsprechender Katalogfall liegt dann vor, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, täglich viermal eine Wegstrecke von knapp mehr als 500 m in 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist dann nicht erforderlich.
4. Kann der Versicherte nur noch drei bis unter sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein, so hat er Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Die Rente wird nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGB 6 auf Zeit geleistet für maximal drei Jahre. Renten verminderter Erwerbsfähigkeit können nur unbefristet geleistet werden, wenn der Anspruch auf diese Rente unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht und es darüber hinaus unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, § 102 Abs. 2 S. 5 SGB 6.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 26.06.2014 und der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2012 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. September 2016 bis zum 31. August 2019 zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.
Der am ... 1961 geborene Kläger war bis zum 31. Dezember 2010 in seinem erlernten Beruf als Schlosser versicherungspflichtig beschäftigt. Er war bereits ab dem 30. Dezember 2010 arbeitsunfähig und bezog ab 1. Januar 2011 Krankengeld, vom 29. Juni 2012 bis zum 28. September 2013 Arbeitslosengeld und seit dem 29. September 2013 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II).
Beim Kläger ist seit dem 16. September 2013 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.
Der Kläger stellte bei der Beklagten am 6. Dezember 2011 den zweiten Antrag auf Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung wegen Diabetes, starker Schmerzen und Taubheit in den Füßen sowie wegen Rückenbeschwerden. Die Beklagte zog zunächst das Gutachten des Dr. H. vom MDK Sachsen Anhalt vom 19. Mai 2011 und den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Bad C. vom 8. September 2011 über die dort vom 10. bis zum 31. August 2011 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme bei. In diesem Bericht wurden als Diagnosen ein Diabetes mellitus Typ 2 mit sekundärer Insulinpflichtigkeit, der Verdacht auf eine diabetische Neuropathie, eine bekannte Hypertriglyzeridämie Typ V und eine arterielle Hypertonie angegeben. Der Kläger wurde für in der Lage erachtet, noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit zusätzlichen qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig zu verrichten. Die Wegefähigkeit von viermal 500 m in jeweils 20 Minuten sei gegeben.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2012 den Rentenantrag ab. Der Kläger verfüge über ein Leistungsvermögen im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich für leichte Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen.
Hiergegen hat der Kläger am 28. Juni 2012 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, wegen einer zunehmend fortschreitenden Arthrose, verbunden mit starken Schmerzen in den Gelenken, wegen eines Taubheitsgefühls und Schmerzen in den Füßen, eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2, einer Stoffwechselstörung verbunden mit häufigem Unwohlsein und Bauchschmerzen sowie Bandscheibenproblemen und Depressionen nicht mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein zu können. Mit den orthopädischen Schuhen könne er kein Auto fahren. Normale Schuhe könne er nicht mehr tragen. Er sei nur noch in der Lage, langsam zu gehen. Eine Strecke von 500 m könne er in 20 Minuten nicht mehr zu Fuß zurücklegen.
Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte eingeholt...