Rz. 27
Unabhängig vom Fragerecht des Arbeitgebers kann der Bewerber auch ohne vorheriges Fragen des Arbeitgebers zur Offenbarung bestimmter Tatsachen verpflichtet sein. Grundsätzlich muss eine Vertragspartei bei Vertragsverhandlungen – auch im Rahmen der Begründung eines Arbeitsverhältnisses – nicht von sich aus auf Umstände hinweisen, die die andere Vertragspartei vom Vertragsschluss abhalten können. Ausnahmen von diesem Prinzip können sich allerdings dann ergeben, wenn der Arbeitgeber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Aufklärung durch den Arbeitnehmer erwarten darf. Eine Aufklärungspflicht des Arbeitnehmers ist vor allem dann anzunehmen, wenn er die Arbeitsleistung im vertraglich vereinbarten Umfang nicht oder nur eingeschränkt vornehmen kann. Dies gilt insbesondere, wenn dem Bewerber aufgrund von Krankheiten oder anderen körperlichen oder persönlichen Umständen die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten über einen nicht unerheblichen Zeitraum unmöglich ist. Ferner darf der Arbeitgeber freiwillige Auskünfte erwarten, wenn der Bewerber erkennt, dass er aufgrund fehlender Qualifikation für die Arbeit völlig ungeeignet ist. Es ist allerdings zu beachten, dass eine Offenbarungspflicht dann nicht besteht, wenn bereits eine Frage des Arbeitgebers über denselben Umstand unzulässig wäre.
Rz. 28
Dem Arbeitnehmer obliegt nach diesen Grundsätzen eine Offenbarungspflicht hinsichtlich seiner Vorstrafen, wenn er sich für eine Führungsposition oder besondere Vertrauensstellung beworben hat. Der bevorstehende Antritt einer Strafhaft muss aufgrund der durch die Nichtverfügbarkeit über den Arbeitnehmer entstehenden Kosten und der produktions- und betriebstechnischen Belastungen des Arbeitgebers zumindest dann vom Bewerber offengelegt werden, wenn hierdurch ein mehrmonatiger Arbeitsausfall bevorsteht. Ist zu Beginn des Dienstantritts oder in absehbarer Zeit eine Arbeitsunfähigkeit durch eine zum Zeitpunkt der Verhandlungen bestehende Krankheit zu rechnen, muss der Bewerber den Arbeitgeber freiwillig hierüber aufklären. Eine Offenbarungspflicht besteht ebenfalls im Fall einer Alkoholabhängigkeit des Bewerbers, wenn sich dieser für eine Stelle als Kraftfahrer bewirbt. Die Eignung des Bewerbers für diese Stelle entfällt bereits durch die abstrakte Gefahr des Führens von Kraftfahrzeugen unter Alkoholgenuss und den damit verbundenen Risiken. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen hat der Bewerber auch ein unmittelbar bevorstehendes Heilverfahren dem Arbeitgeber zu offenbaren, wenn es ihn hindert, seine befristete Tätigkeit auszuüben. Eine Offenbarungspflicht muss auch dann bestehen, wenn der Bewerber dauerhaft an einer ansteckenden Krankheit leidet, durch die Dritte aufgrund der Art der Arbeitsleistung konkret gefährdet würden. Der Arbeitnehmer muss ohne eine vorangegangene Frage des Arbeitgebers seine Behinderung nur offenbaren, wenn sie ihn daran hindert, die vorgesehene Arbeit überhaupt zu übernehmen. Eine lediglich beschränkte Leistungsfähigkeit ruft im Hinblick auf § 164 Abs. 2 SGB IX keine Offenbarungspflicht hervor. Aufgrund der Unzulässigkeit diesbezüglicher Fragen durch den Arbeitgeber besteht eine generelle Offenbarungspflicht der Bewerberin hinsichtlich einer bestehenden Schwangerschaft nicht. Das BAG hatte eine Aufklärungspflicht für den Fall angenommen, dass der Bewerberin etwa durch Eingreifen eines Beschäftigungsverbots die Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungspflicht unmöglich ist. Diese Bewertung ist jedoch vor dem Hintergrund der restriktiven Rspr. des EuGH zur Schwangerschaftsfrage nicht aufrechtzuerhalten und eine Offenbarungspflicht mithin abzulehnen. Ein Arbeitnehmer muss allerdings ungefragt offenbaren, wenn er einem Wettbewerbsverbot unterliegt, da die Möglichkeit besteht, dass er die Tätigkeit gar nicht erst annimmt oder wieder abbricht, wenn sein alter Arbeitgeber gegen ihn vorgeht. Unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Verfügbarkeit muss auch von der Offenbarungspflicht eines ausländischen Bewerbers ausgegangen werden, wenn dieser keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besitzt. Auch besteht die Offenbarungspflicht einer Lehrerin darüber, dass sie nach Ableistung der Referendarzeit die zweite Staatsprüfung endgültig nicht bestanden hat.