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Die Verpflichtung zum Nachteilsausgleich trifft den Arbeitgeber auch, wenn er die Betriebsänderung durchführt, ohne einen Interessenausgleich mit dem Arbeitnehmer versucht zu haben Das BAG hat die Anforderungen an den „Versuch” des Arbeitgebers sehr hoch gestellt. Der Arbeitgeber muss zunächst versuchen, in den Beratungen mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu erzielen. Nach der Rechtsprechung hat der Arbeitgeber vor der Durchführung einer Betriebsänderung alle Möglichkeiten zur Herbeiführung eines wirksamen Interessenausgleichs auszuschöpfen. Er darf sich nicht damit begnügen, dass der Betriebsratsvorsitzende ihm formlos mitteilt, der Betriebsänderung werde zugestimmt oder ein Interessenausgleich sei überflüssig. Hat der Betriebsrat die Zustimmung zur Betriebsänderung beschlossen, sollte der Arbeitgeber im eigenen Interesse die schriftliche Niederlegung verlangen und erforderlichenfalls die Einigungsstelle anrufen. Der Arbeitgeber muss auch darauf achten, dass er mit dem zuständigen Gremium – Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat – verhandelt, was sich nach § 50 BetrVG richtet. Sind sich Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat nicht einig, wer von beiden für die Interessenausgleichsverhandlungen zuständig ist, muss der Arbeitgeber sie auffordern, ihre Zuständigkeit zu klären. Bei übereinstimmender Erklärung zur Zuständigkeit darf er sich darauf verlassen.
Gelingt dies nicht, muss der Arbeitgeber seinerseits die Einigungsstelle anrufen. Erst wenn auch in der Einigungsstelle kein Interessenausgleich zustande kommt, kann der Arbeitgeber die Betriebsänderung ohne die Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG durchführen. Der Versuch des Interessenausgleichs ist gescheitert, wenn der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat mit dem ernsthaften Willen einer Verständigung ohne Ergebnis beraten hat. Der Unternehmer muss sich dazu mit den vom Betriebsrat vorgeschlagenen Alternativen zu der geplanten Betriebsänderung einlassen und argumentativ auseinandersetzen. Die Betriebsparteien haben in dem Einigungsstellenverfahren letztmals Gelegenheit, unter Mitwirkung eines unparteiischen Vorsitzenden Alternativen zur geplanten Betriebsänderung zu erörtern oder Modifikationen zu prüfen, die für die betroffenen Arbeitnehmer weniger nachteilige Folgen haben. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht daher nicht, wenn dieser Verhandlungsanspruch des Betriebsrats in dem Einigungsstellenverfahren erfüllt wird.
Der Versuch eines Interessenausgleichs i. S. v. § 113 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 BetrVG setzt nicht voraus, dass die Einigungsstelle das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen förmlich durch Beschluss feststellt. Maßgeblich ist allein, dass der Sache nach der Verhandlungsanspruch erfüllt wurde. Allerdings ist es zur Dokumentation der Erfüllung des Verhandlungsanspruchs hilfreich, dass die Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen feststellt. Darauf sollte der Arbeitgeber hinwirken.
Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anrufung der Einigungsstelle entfällt nur ausnahmsweise, etwa wenn der Betriebsrat seine Tätigkeit gänzlich eingestellt hat oder der Betriebsratsvorsitzende trotz eines ordnungsgemäßen Beschlusses des Betriebsrats über die Zustimmung zur Betriebsänderung dem Verlangen des Arbeitgebers, dies schriftlich niederzulegen, nicht entspricht.
Den Versuch des Interessenausgleichs muss der Arbeitgeber unternehmen, bevor er mit der Durchführung im Sinne der tatsächlichen Umsetzung der Betriebsänderung beginnt. Vorbereitungsmaßnahmen lösen nicht bereits den Anspruch aus. Allein der Beschluss der Gesellschafterversammlung einer Kapitalgesellschaft genügt noch nicht. Erst wenn die Geschäftsführung rechtsgeschäftliche Handlungen oder andere Maßnahmen zur Umsetzung eines solchen Beschlusses vor dem Versuch des Interessenausgleichs vornimmt, wird der Nachteilsausgleich ausgelöst. Auch die Einstellung der Produktion und die widerrufliche Freistellung von Arbeitnehmern stellt keine unumkehrbare Maßnahme zur Auflösung der Betriebsorganisation dar mit der Folge, dass darin noch kein Beginn einer Betriebsstilllegung liegt. Erst unumkehrbare Maßnahmen wie der Ausspruch von Kündigungen oder dem Verkauf von (wesentlichen) Betriebsmitteln lösen den Nachteilsausgleich aus. So hat das BAG entschieden, dass bereits die Übernahme der Bodendienste bei einer Fluggesellschaft durch einen Funktionsnachfolger (und somit liegt kein Betriebsteilübergang vor) den Beginn der Teilbetriebsstilllegung darstellt und es dafür des Ausspruchs der Kündigung gegenüber den bisher in dem Betrieb Beschäftigten nicht bedarf.
Nur ausnahmsweise ist es unschädlich, wenn der Arbeitgeber den Interessenausgleich nicht versucht. Dies ist der Fall, wenn die sofortige Betriebsschließung unausweichlich ist und deren weiteres Hinausschieben den Arbeitnehmern nur weitere Nachteile gebracht hätte. Ob darüber hinaus der Nachteilsausgleich ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat aus zwingenden Gründen nicht beteiligt, ist str...