Die traditionelle Form der Mitarbeiterbeurteilung (Abwärtsbeurteilung) bietet bereits die Chance einer Vorgesetztenbeurteilung (Aufwärtsbeurteilung) – allerdings auf freiwilliger Basis. Dies kann so geschehen: Der Vorgesetzte teilt an seine Mitarbeiter ebenfalls Beurteilungsbögen aus und bittet sie, ihn mit Hilfe dieser Bögen zu beurteilen und die Bögen zum Beurteilungsgespräch mitzubringen. Im Beurteilungsgespräch besprechen Vorgesetzter und Mitarbeiter zunächst die Beurteilung des Mitarbeiters. Geschieht dies in einer kooperativen und vertrauensvollen Atmosphäre, sind gute Voraussetzungen für eine anschließende Besprechung der Vorgesetztenbeurteilung gegeben. Anschließend erläutert der Mitarbeiter dem Vorgesetzten, wie er dessen Leistungen und Verhalten beurteilt. Dabei dürfte in der Regel der Schwerpunkt beim Thema Führung liegen. Es können aber auch Urteile über den Arbeitsstil oder die Delegationsbereitschaft (vielleicht delegiert der Vorgesetzte zu wenig und/oder kontrolliert zu viel) und in Ausnahmefällen sogar über die Fach- und Methodenkompetenz besprochen werden. Jetzt ist die Beurteilung keine "Einbahnstraße" mehr, sondern ein echter Austausch - eben ein beidseitiges Feedbackgespräch.
Natürlich kann der Vorgesetzte als niederschwellige Variante auch einfach direkt im Gespräch Feedback des Mitarbeiters zu seinem Führungsverhalten einfordern!
Freiwilligkeit
Die gegenseitige Beurteilung setzt Freiwilligkeit auf beiden Seiten voraus. Sie erfolgt auf Wunsch des Vorgesetzten. Sie fordert von beiden Partnern Fairness und Vertraulichkeit. Die Ergebnisse der Aufwärtsbeurteilung bleiben beim Vorgesetzten. Es ist ihm überlassen, ob er mit anderen darüber spricht (z. B. mit seinem Coach).
Bevor Vorgesetzter und Mitarbeiter zu einer gegenseitigen Beurteilung kommen, können sie bereits in einer Vorstufe eine partizipative Beurteilung üben:
Der Vorgesetzte teilt auch an seine Mitarbeiter Beurteilungsbögen aus und bittet sie, sich selbst zu beurteilen und die Bögen zum Beurteilungsgespräch mitzubringen. Im Gespräch ergibt sich aus dem Vergleich der beiden Beurteilungen und damit der Fremd- und Selbstbilder (im Idealfall) ein gemeinsames Bild vom Mitarbeiter. Auf diesem lassen sich Ziele konkret vereinbaren und Entwicklungsmaßnahmen gezielt einleiten. Bei dieser Gelegenheit können die Mitarbeiter den Vorgesetzten darauf hinweisen, welchen Einfluss das Führungsverhalten des Vorgesetzten auf ihre Leistungen und ihr Verhalten hat. Diese informelle Form des Feedback hat oft eine recht heilsame Wirkung.
Die Selbstbeurteilung der Mitarbeiter und der Vergleich der Beurteilungen hat einige Vorteile:
- Der Vorgesetzte erfährt, wie sich die Mitarbeiter selbst sehen. (Häufig beurteilen sich die Mitarbeiter selbst kritischer als ihre Vorgesetzten dies tun. Das erleichtert dem Vorgesetzten das Beurteilungsgespräch.)
- Der Vorgesetzte erhält ein Feedback über seine Beurteilungsfähigkeiten.
- Die Mitarbeiter bekommen die Chance, das Vorgesetztenurteil zu korrigieren. (Es steht schriftliches Urteil gegen schriftliches Urteil. Der Vorgesetzte muss den Mitarbeitern nachweisen, dass sein Urteil zutreffender ist.)
- Die Mitarbeiter lernen das Beurteilungsverfahren aus eigenem Mitwirken kennen. (Das befähigt sie auch zu einer Vorgesetztenbeurteilung.)
- Die Mitarbeiter sind gezwungen, sich vorab mit ihren eigenen Leistungen, Stärken und Schwächen zu beschäftigen. Dies trägt zu einer guten Gesprächsgrundlage bei.
Dieses Vorgehen birgt die Gefahr, dass "faule" Vorgesetzte keine Beurteilung mehr vorbereiten, sondern auf der Basis des Mitarbeiterselbstbildes eine abschließende Beurteilung im Gespräch "aushandeln" und schriftlich festhalten.
Annahme von Feedback
Der Vorgesetzte sollte bei einem ersten Versuch nur die Mitarbeiter um eine Vorgesetztenbeurteilung bitten, zu denen er ein gutes Vertrauensverhältnis hat und von denen er annimmt, dass sie sich zutrauen, ihn zu beurteilen.
Das Verhalten des Vorgesetzten im Beurteilungsgespräch (Feedbackgespräch) entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Aufwärtsbeurteilung. Er muss bereit sein, auch für ihn unangenehme Kritik entgegenzunehmen, ohne gleich in Abwehrstellung zu gehen. (Schließlich braucht er ungeschminktes Feedback, um für sich zu lernen.) Er muss dankbar für die Hinweise seiner Mitarbeiter sein. Gelingt es ihm, das Gespräch in einer kooperativen Atmosphäre zu führen und zieht er die richtigen Folgerungen (z. B. Änderung seines Führungsverhaltens), entsteht großer Gewinn für alle Beteiligten.
Ein weiterer Vorteil positiv verlaufender Feedbackgespräche ist, dass die Mitarbeiter durch den Rollentausch lernen, wie schwierig eine objektive und faire Beurteilung ist. Das dürfte sich auf künftige Beurteilungsgespräche positiv auswirken.