Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei betrieblichem Eingliederungsmanagement
Leitsatz (redaktionell)
Der Antrag des Betriebsrats, mit dem allgemein die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der "Durchführung des BEM gem. § 84 Abs. 2 SGB IX" begehrt wird, ist mangels Bestimmheit unzulässig.
Normenkette
SGB IX § 84 Abs. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 7; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 21. Mai 2008 – H 3 TaBV 1/08 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
A. Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beim betrieblichen Eingliederungsmanagement iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX.
Rz. 2
Die Arbeitgeberin ist eine Privatkundenbank mit mehreren Standorten in der Bundesrepublik Deutschland. Antragsteller ist der für die ca. 1.300 Mitarbeiter des Standorts H… errichtete Betriebsrat. Dieser hat in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren Mitbestimmungsrechte beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX geltend gemacht. Diese Regelung diene jedenfalls mittelbar dem Gesundheitsschutz. Bei der Erfüllung der Verpflichtung zur Durchführung des BEM ergäben sich Handlungsspielräume für die Arbeitgeberin, bei deren Ausgestaltung er gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen habe.
Rz. 3
Der Betriebsrat hat, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, beim Landesarbeitsgericht zuletzt beantragt
festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Ausgestaltung des Verfahrens des BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX sowie den sich hieraus ergebenden zu treffenden Maßnahmen des Gesundheitsschutzes zusteht, soweit eine gesetzliche Regelung nicht besteht.
Rz. 4
Das Arbeitsgericht hat, wie von der Arbeitgeberin beantragt, den – erstinstanzlich noch anders gefassten – Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat seine Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde hat der Betriebsrat zuletzt beantragt
festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung des BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX zusteht.
Rz. 5
Hilfsweise hat er den zweitinstanzlichen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Seine Anträge sind mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig.
Rz. 7
I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Rz. 8
1. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde ist, dass der Rechtsbeschwerdeführer die mit der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts verbundene Beschwer beseitigen will. Ist der Rechtsbeschwerdeführer Antragsteller, muss er mit der Rechtsbeschwerde seinen vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen Antrag weiterverfolgen und begründen, warum das Landesarbeitsgericht diesen Antrag zu Unrecht abgewiesen hat. Eine Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn der Rechtsbeschwerdeführer das im zweiten Rechtszug verfolgte Begehr nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege einer Antragsänderung einen neuen, bisher nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt (vgl. für die Berufung BAG 10. Februar 2005 – 6 AZR 183/04 – zu 1a der Gründe, NJW 2005, 1884; BGH 7. Mai 2003 – XII ZB 191/02 – BGHZ 155, 21; Musielak/Ball ZPO 6. Aufl. vor § 511 Rn. 26).
Rz. 9
2. Hier verfolgt der Betriebsrat mit der Rechtsbeschwerde jedenfalls auch das zweitinstanzliche, vom Landesarbeitsgericht abgewiesene Begehr weiter. Das ergibt die Auslegung seiner Anträge.
Rz. 10
a) Der im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellte Hauptantrag unterscheidet sich seinem Wortlaut nach von dem im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag nicht unbeträchtlich. Während zweitinstanzlich die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der “Ausgestaltung des Verfahrens des BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX sowie den sich hieraus ergebenden zu treffenden Maßnahmen des Gesundheitsschutzes” begehrt wurde, geht es nun um die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der “Durchführung des BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX”.
Rz. 11
b) Wie die Auslegung des im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Antrags ergibt, geht dieser noch über den zweitinstanzlichen Antrag hinaus. Der Betriebsrat will, wie sein Verfahrensbevollmächtigter in der Anhörung vor dem Senat bestätigt hat, ein Mitbestimmungsrecht in noch weitergehendem Umfang als im zweiten Rechtszug festgestellt wissen. Damit bekämpft er die mit der Abweisung seines zweitinstanzlichen Antrags verbundene Beschwer. Er hat in der Rechtsbeschwerdebegründung auch iSv. § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG noch ausreichend deutlich gemacht, warum er die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts für rechtsfehlerhaft hält.
Rz. 12
II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die mit ihr verfolgten Anträge sind bereits mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig. Soweit der Betriebsrat mit seinem Hauptantrag eine noch weiterreichende Feststellung als im zweiten Rechtszug begehrt, handelt es sich darüber hinaus um eine im Rechtsbeschwerdeverfahren unzulässige Antragserweiterung.
Rz. 13
1. Der im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellte Hauptantrag ist nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Rz. 14
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss der Antragsteller eines Beschlussverfahrens die Maßnahme des Arbeitgebers oder den betrieblichen Vorgang, hinsichtlich dessen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats streitig ist, so genau bezeichnen, dass mit der Entscheidung über den Antrag feststeht, für welche Maßnahmen oder Vorgänge das Mitbestimmungsrecht bejaht oder verneint worden ist. Dafür muss der jeweilige Streitgegenstand so konkret umschrieben werden, dass die Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Betriebsparteien entschieden werden kann (8. Juni 2004 – 1 ABR 13/03 – zu B I 2a aa der Gründe mwN, BAGE 111, 36). Geht es um den Inhalt und Umfang des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, so ist aufgrund der besonderen Struktur dieses Mitbestimmungsrechts in der Regel ein konkretes Regelungsverlangen des Betriebsrats erforderlich (BAG 15. Januar 2002 – 1 ABR 13/01 – zu B II 2b der Gründe, BAGE 100, 173). Die von diesem gestellten Feststellungsanträge müssen erkennen lassen, welche Regelungen zur betrieblichen Umsetzung einer sich aus Normen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ergebenden konkreten Handlungspflicht des Arbeitgebers aus der Sicht des Betriebsrats in Betracht kommen, an deren Ausgestaltung er mitzuwirken beabsichtigt (BAG 15. Januar 2002 – 1 ABR 13/01 – zu B II 2c der Gründe, aaO). Nicht ausreichend ist, wenn ein “bunter Strauß” aller möglichen Maßnahmen in Betracht kommt (vgl. BAG 8. Juni 2004 – 1 ABR 13/03 – zu B I 2a bb (2) der Gründe, aaO).
Rz. 15
b) Hiernach genügt der Hauptantrag den Bestimmtheitserfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht. Mit ihm wird ganz pauschal und umfassend die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der “Durchführung des BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX” begehrt. Damit kommt ein “bunter Strauß” möglicher Regelungen und Maßnahmen in Betracht (vgl. Düwell in LPK-SGB IX § 84 Rn. 60; Kohte Anm. LAGE BetrVG 2001 § 87 Gesundheitsschutz Nr. 3; Feldes AiB 2005, 546, 547). Bei welchen konkreten Regelungen oder Maßnahmen der Betriebsrat beteiligt werden will, lässt sich weder seinem Antrag noch der Begründung zuverlässig entnehmen. Sein Begehr läuft vielmehr auf eine gerichtliche Kommentierung zu § 84 Abs. 2 SGB IX mit allen im Rahmen des BEM in Betracht kommenden generell-abstrakten oder individuell-konkreten Regelungen und Maßnahmen und den dabei nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG etwa eröffneten Mitbestimmungsrechten hinaus. Hierzu sind die Gerichte für Arbeitssachen nicht berufen. Neben der mangelnden Bestimmtheit eines solchen Begehrs besteht an ihm auch nicht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche berechtigte Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Feststellung.
Rz. 16
c) Soweit der im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellte Antrag über den im Beschwerdeverfahren gestellten und beschiedenen Antrag hinausgeht, handelt es sich außerdem um eine im Rechtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unzulässige Antragserweiterung (vgl. BAG 2. Oktober 2007 – 1 ABR 79/06 – Rn. 21 mwN, EzA ZPO 2002 § 559 Nr. 1).
Rz. 17
2. Auch der im Beschwerdeverfahren als Hauptantrag, im Rechtsbeschwerdeverfahren nur hilfsweise gestellte Antrag ist unzulässig. Er ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ebenfalls nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Mit ihm wird die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der “Ausgestaltung des Verfahrens des BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX sowie den sich hieraus ergebenden zu treffenden Maßnahmen des Gesundheitsschutzes” begehrt. Auch hier fehlt es an der erforderlichen näheren Präzisierung, bezüglich welcher konkreter Regelungen und Maßnahmen ein Mitbestimmungsrecht festgestellt werden soll. Inhalt und Umfang der Rechtskraft einer über den Antrag ergehenden Sachentscheidung wären völlig unklar.
Unterschriften
Schmidt, Koch, Linsenmaier, Rath, Spoo
Fundstellen
Haufe-Index 2253463 |
AP 2010 |
ZfPR 2011, 16 |