Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskampfrisiko bei „Wellenstreiks”
Leitsatz (amtlich)
1. Bei sogenannten Wellenstreiks lassen sich Abwehrmaßnahmen des Arbeitgebers (z.B. Produktionskürzungen, Einsatz von Aushilfskräften und Fremdvergabe von Arbeiten) nicht ohne weiteres so begrenzen, daß sie sich nur während der Dauer der einzelnen Kurzstreiks auswirken. Können Arbeitnehmer aus diesem Grunde für den Rest einer laufenden Schicht nicht mehr beschäftigt werden, so verlieren sie insoweit nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos ihren Lohnanspruch, wenn dem Arbeitgeber eine andere Planung unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre.
2. Auch im Laufe eines Wellenstreiks sind Arbeitnehmer nicht verpflichtet, Auskunft darüber zu geben, ob und inwieweit sie sich an künftigen Kampfmaßnahmen beteiligen werden. Die Unsicherheit darüber kann jedoch im Zusammenhang mit der Verteilung des arbeitskampfbedingten Lohnrisikos bei der Frage der Zumutbarkeit ihres Einsatzes eine Rolle spielen.
Normenkette
GG Art. 9 Arbeitskampf; BGB § 615
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 18. April 1996 – 5 Sa 92/96 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Lohnansprüche des Klägers für Zeiten, in denen die Beklagte während eines Tarifkonflikts seine Arbeitsleistung nicht in Anspruch genommen hat.
Die Beklagte ist Inhaberin eines Betriebs, in dem in erster Linie Tageszeitungen (R., W., S. E.) gedruckt werden. Der Kläger ist bei ihr in der Abteilung Rotation als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt.
Während der Tarifrunde 1994 wurde der Betrieb der Beklagten bestreikt, wobei in einzelnen Abteilungen und Schichten jeweils zu verschiedenen Zeiten Arbeitsniederlegungen von unterschiedlicher Dauer stattfanden („Wellenstreik”). Gemeinsam mit seinen Kollegen in der Abteilung Rotation folgte der Kläger den Streikaufrufen der IG Medien zu folgenden Zeiten (genannt ist jeweils der Tag des Nachtschichtbeginns):
- 03.05.1994 Schicht von 21.30 bis 5.30 Uhr, Streik von 21.30 bis 22.30 Uhr,
- 30.05.1994 Schicht von 22.00 bis 5.30 Uhr, Streik von 01.00 bis 02.30 Uhr,
- 31.05.1994 Schicht von 22.00 bis 6.00 Uhr, Streik von 22.30 bis 23.00 Uhr,
- 01.06.1994 Schicht von 22.00 bis 5.30 Uhr, Streik von 22.00 Uhr bis 23.45 Uhr,
- 15.06.1994 Schicht von 22.00 bis 6.00 Uhr, Streik von 23.00 Uhr bis 24.00 Uhr.
Diesen Arbeitsniederlegungen waren an denselben Tagen Kurzstreiks in anderen Teilen des Betriebs vorausgegangen.
Nach dem Ende jeder Arbeitsniederlegung bot der Kläger seine Arbeitsleistung wieder an. Die Beklagte lehnte aber für den Rest der jeweiligen Schicht die Beschäftigung unter Hinweis auf das inzwischen eingeleitete „Notprogramm” ab. Für die dadurch außerhalb der Arbeitsniederlegungen ausgefallenen 26,25 Arbeitsstunden entging dem Kläger Lohn in Höhe von insgesamt 868,54 DM brutto.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Vergütung der ausgefallenen Arbeitszeit verpflichtet, da sie insoweit mit der Annahme seiner Arbeitsleistung in Verzug geraten sei. Sein Anspruch werde nicht durch die Grundsätze der Risikoverteilung im Arbeitskampf ausgeschlossen. Seine Beschäftigung sei der Beklagten möglich und auch zumutbar gewesen. In den Schichten, um die es hier gehe, sei das Produktionsprogramm nicht eingeschränkt worden. So seien die Streikenden auch jeweils nach Ende der Arbeitsniederlegung vom technischen Leiter oder vom Geschäftsführer der Beklagten gefragt worden, ob sie den Rest der Schicht ohne erneuten Streik arbeiten würden. Erst nachdem die Arbeitnehmer eine Festlegung verweigert hätten, seien sie nicht mehr zur Arbeit herangezogen worden. Soweit sich die Beklagte auf die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit seiner Beschäftigung wegen des inzwischen eingeleiteten „Notprogramms” berufe, fehle es an einer substantiierten Darlegung derjenigen Maßnahmen, die seiner Beschäftigung entgegengestanden haben sollen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 868,54 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 18. Juli 1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung war die Beschäftigung des Klägers in den streitbefangenen Zeiträumen wegen des Arbeitskampfs unmöglich, zumindest aber unzumutbar. Aufgrund ihrer Erfahrungen in vorangegangenen Tarifrunden habe sie für den Fall von Wellenstreiks ein Gegenprogramm vorbereitet gehabt, um die Zeitungen auch an Streiktagen herstellen zu können. Dieses Programm habe darin bestanden, Teile der Arbeiten an andere Druckereien zu vergeben und den Umfang der Zeitungen auf Notausgaben zu reduzieren, die bei vorgezogenem Andruck mit Hilfe einer Ersatzmannschaft (betriebsintern umgesetzten Arbeitnehmern und externen Aushilfskräften) hergestellt worden seien. Dieses Notprogramm sei nach vorangegangenen Streikmaßnahmen für die jeweils folgende Nachtschicht in Gang gesetzt worden. Eine Beschäftigung des Klägers in der verbleibenden Zeit zwischen dem Ende seiner Arbeitsniederlegung und dem Schichtende sei dann nicht mehr möglich gewesen. Das geänderte Produktionsprogramm habe nämlich eingehalten werden müssen, fremdvergebene Aufträge hätten nicht zurückgeholt werden können und das Aushilfspersonal habe bereitgestanden oder sei bereits eingesetzt gewesen. Die üblicherweise vom Kläger und seinen Schichtkollegen verrichteten Arbeiten seien entweder vollständig entfallen, anderweit vergeben oder bereits ausgeführt gewesen, als der Kläger seine Arbeitskraft wieder angeboten habe. Im übrigen sei ein streikfreier Ablauf der restlichen Schicht ungewiß gewesen, weil der Kläger und seine Kollegen hierzu jede Festlegung vermieden hätten. Die Beklagte hat bestritten, daß sie den Streikenden jeweils nach der Arbeitsniederlegung die Beschäftigung für den Rest der Schicht unter der Bedingung angeboten habe, daß sie in diesem Zeitraum ohne erneute Unterbrechung arbeiteten.
Im einzelnen hat die Beklagte zu den Abläufen in den streitbefangenen Schichten folgendes vorgetragen:
- Am 3. Mai 1994 (Streik von 21.30 Uhr bis 22.30 Uhr) seien die planmäßigen Andruckzeiten von 22.30 Uhr auf 22.17 Uhr, von 22.45 Uhr auf 22.37 Uhr, von 23.00 Uhr auf 22.44 Uhr und von 24.00 Uhr auf 23.42 Uhr vorgezogen worden. Entsprechend früher seien die einzelnen Ausgaben fertiggedruckt gewesen.
- Am 30. Mai 1994 (Streik von 1.00 Uhr bis 2.30 Uhr) sei der Andruck planmäßig für 23.15 Uhr des Vortages vorgesehen gewesen, aber auf 23.11 Uhr vorgezogen worden. Der Druck sei dann beschleunigt durchgeführt und bereits um 2.53 Uhr (planmäßig: 3.45 Uhr) beendet worden.
- Am 31. Mai 1994 (Streik von 22.30 Uhr bis 23.00 Uhr) sei der Andruck von 23.15 Uhr auf 22.52 Uhr vorverlegt worden, das Blatt sei bereits um 1.41 Uhr (planmäßig 3.45 Uhr) fertiggestellt gewesen.
- Am 1. Juni 1994 (Streik von 22.00 Uhr bis 23.45 Uhr) sei der Andruck von 23.15 Uhr auf 22.50 Uhr vorgezogen worden, die Zeitung sei um 1.25 Uhr (planmäßig 3.45 Uhr) fertig gewesen.
- Am 15. Juni 1994 (Streik von 23.00 Uhr bis 24.00 Uhr) seien die planmäßigen Andruckzeiten der Teilausgaben von 23.00 Uhr auf 20.09 Uhr, von 23.15 Uhr auf 22.02 Uhr, von 23.35 Uhr auf 20.18 Uhr, von 1.00 Uhr auf 22.22 Uhr und von 1.15 Uhr auf 22.34 Uhr vorverlegt worden. Die Fertigstellung habe sich dementsprechend von 23.10 Uhr auf 20.18 Uhr, von 23.30 Uhr auf 22.14 Uhr, von 0.55 Uhr auf 21.50 Uhr, von 1.10 Uhr auf 22.28 Uhr und von 1.25 Uhr auf 22.39 Uhr beschleunigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist erfolglos. Die Klage ist unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß der Kläger für die streitbefangenen Zeiträume keinen Lohnanspruch hat, weil die Beklagte nicht in Annahmeverzug (§ 615 BGB) geraten ist.
I. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, daß der vom Kläger geltend gemachte Lohnanspruch nicht etwa durch eine Suspendierung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Senats (grundlegend BAGE 76, 196 = AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zuletzt Urteile vom II. Juli 1995 – 1 AZR 63/95 – und – 1 AZR 161/95 – AP Nr. 138 und 139 zu Art. 9 GG. Arbeitskampf) ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einen bestreikten Betrieb oder Betriebsteil so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Er kann ihn vielmehr stillegen mit der Folge, daß die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert werden und auch die hiervon betroffenen arbeitswilligen Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch verlieren. Darauf, ob dem Arbeitgeber die Heranziehung der Arbeitswilligen zur Arbeit möglich und zumutbar wäre, kommt es insoweit nicht an. Diese Reaktionsmöglichkeit besteht indessen nur innerhalb des zeitlichen und gegenständlichen Rahmens, der sich aus dem Streikaufruf der Gewerkschaft ergibt (Senatsurteil vom 27. Juni 1995 – 1 AZR 1016/94 – AP Nr. 137 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III 1 der Gründe). Werden nur die Angehörigen einer bestimmten Abteilung für eine begrenzte Zeit zum Streik aufgerufen, so ist auch die damit begründete Stillegung nur bezogen auf diese Abteilung und nur für die betreffende Zeit möglich. Das folgt daraus, daß die Maßnahme als bloßes Erdulden der gegnerischen Kampfmaßnahme gerechtfertigt ist.
Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine derartige Teilstillegung des Betriebs der Beklagten. Die Parteien streiten ausschließlich um Lohn für Zeiten, die vom gewerkschaftlichen Streikaufruf gerade nicht umfaßt waren.
II. Dem Anspruch des Klägers stehen indessen die Grundsätze der Risikoverteilung bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen entgegen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat dies damit begründet, daß es der Beklagten unmöglich, zumindest aber unzumutbar gewesen sei, die angebotene Arbeitsleistung tatsächlich anzunehmen. Aufgrund des von ihr organisierten „Streikgegenprogramms” sei entweder der Arbeitsplatz des Klägers im Zeitpunkt seines Arbeitsangebots durch eine Aushilfskraft besetzt oder aber die üblicherweise von ihm zu verrichtende Arbeit bereits vollständig erledigt gewesen. Auch soweit es der Beklagten im Einzelfall möglich gewesen sein sollte, Ersatzkräfte nach Beendigung der Arbeitsniederlegung wieder abzuziehen und den Kläger an seinem angestammten Arbeitsplatz einzusetzen, könne er hieraus keine Ansprüche herleiten. Sein Einsatz sei der Beklagten nämlich unzumutbar gewesen, da sie nicht habe sicher sein können, daß der Kläger für den Rest der Schicht ohne erneute Arbeitsniederlegung weiterarbeiten werde. Dem Arbeitgeber müsse es nämlich schon aus Gründen der Kampfparität gestattet sein, angemessen auf die weiterhin bestehende Streikbereitschaft der Arbeitnehmer zu antworten.
Diese Begründung ist im wesentlichen rechtsfehlerfrei.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt die Regel, wonach der Arbeitgeber das Betriebs- und das Wirtschaftsrisiko trägt, bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen nur eingeschränkt.
a) In seinen grundlegenden Beschlüssen vom 22. Dezember 1980 (– 1 ABR 2/79 – und – 1 ABR 76/79 – BAGE 34, 331 und 355 = AP Nr. 70 und 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) hatte sich der Senat mit Störungen zu befassen, die auf Streiks oder Aussperrungen in anderen Betrieben beruhten und die Fortsetzung des Betriebs ganz oder teilweise unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar machten.
Für diese Fälle hat das Bundesarbeitsgericht erkannt, daß dann, wenn solche Fernwirkungen eines Arbeitskampfs das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien beeinflussen können, beide Seiten das jeweils auf sie entfallende Arbeitskampfrisiko zu tragen haben. Das bedeutet für die betroffenen Arbeitnehmer, daß sie für die Dauer der Betriebsstörung ihre Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche verlieren (AP, aaO, jeweils zu C I der Gründe).
Diese Regel hat das Bundesarbeitsgericht (BAGE 34, 331, 342 = AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu C I 2 a (3) der Gründe) aus dem Grundsatz der Kampfparität abgeleitet, der in der Tarifautonomie wurzelt. Die Rechtsordnung darf keiner Seite so starke Kampfmittel zur Verfügung stellen, daß dem sozialen Gegenspieler keine gleichwertige Verhandlungschance bleibt. Dabei ist der Druck entscheidend, der durch die Kampffolgen auf den jeweiligen Verhandlungsgegner ausgeübt wird. Würde dem Arbeitgeber, der von den Fernwirkungen eines Streiks betroffen ist, in jedem Fall das Lohnrisiko auferlegt, so könnte das im Ergebnis die kampfführenden Arbeitgeber schwächen und die gegnerische Gewerkschaft einseitig begünstigen, weil sie diese mittelbaren Wirkungen des Streiks nicht durch entsprechende Lohneinbußen der Arbeitnehmer erkaufen muß.
b) Im Grundsatz gilt das genauso, wenn die Arbeit in einem Betrieb infolge eines Teilstreiks unmöglich oder dem Arbeitgeber unzumutbar wird (vgl. MünchArbR/Boewer, § 77 Rz 9; MünchArbR/Otto, § 283 Rz 55; Löwisch/Bittner, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, 1989, Rz 616). In diesem Fall haben arbeitswillige Arbeitnehmer das Lohnrisiko in gleicher Weise zu tragen wie bei Fernwirkungen von Kampfmaßnahmen in nicht unmittelbar kampfbetroffenen Betrieben. Dabei erübrigt sich allerdings eine besondere Prüfung, ob die mittelbaren Wirkungen des Arbeitskampfs das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien beeinflussen können. Durch einen Teilstreik verursachte Betriebsstörungen, die sich in anderen Betriebsteilen auswirken, belasten unmittelbar den Arbeitgeber, gegen den sich der Streik richtet, also eine Kampfpartei. So ist der Senat wiederholt davon ausgegangen, daß die Arbeitnehmer das Entgeltrisiko zu tragen haben, wenn in einem Betriebsteil die Arbeit unmöglich oder für den Arbeitgeber unzumutbar wird, weil in einem anderen Betriebsteil infolge von Arbeitskampfmaßnahmen nicht oder nur eingeschränkt gearbeitet wird (BAG Urteil vom 10. Juni 1980 – 1 AZR 168/79 – AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A V 3 b der Gründe [insoweit nicht in der Amtlichen Sammlung abgedruckt]; BAGE 75, 186, 190 f. = AP Nr. 129 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu I 2 der Gründe; Urteil vom 27. Juni 1995 – 1 AZR 1016/94 – AP Nr. 137 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II der Gründe; Urteil vom 11. Juli 1995 – 1 AZR 63/95 – AP Nr. 138 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 der Gründe; Urteil vom 11. Juli 1995 – 1 AZR 161/95 – AP Nr. 139 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III der Gründe).
c) Nach den dargestellten Grundsätzen sind die Arbeitnehmer auch dann mit dem Entgeltrisiko belastet, wenn eine Kampfmaßnahme, an der sie selbst beteiligt waren, zu einer Betriebsstörung führt, welche die Wiederaufnahme der Arbeit nach dieser Kampfmaßnahme unmöglich oder für den Arbeitgeber unzumutbar macht. So kann z.B. ein Kurzstreik die Voraussetzungen beseitigen, von denen die eigentlich zu leistenden Arbeiten abhängig waren (Liefertermine, Vorarbeiten usw.).
Zwar wird die Frage des Entgeltrisikos bei Fernwirkungen von Streiks oder Aussperrungen regelmäßig auf Fälle bezogen, in denen eine Betriebsstörung gleichzeitig mit der Kampfmaßnahme, aber an anderer Stelle eintritt; für die Wirkungen auf das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien macht es aber keinen grundsätzlichen Unterschied, wann eine kampfbedingte Betriebsstörung eintritt, solange nur der Tarifkonflikt noch andauert und damit die Möglichkeit besteht, daß der Ausgang des Kampfs beeinflußt wird. Daraus folgt, daß die Fernwirkungen auch solche Arbeitnehmer treffen können, die vorher selbst kampfbeteiligt waren. So ist auch der Senat in seinem Urteil vom 27. Juni 1995 (– 1 AZR 1016/94 – AP Nr. 137 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II der Gründe) ohne weiteres davon ausgegangen, daß nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers entfällt, wenn eine streikbedingte Betriebsstörung die weitere Arbeit der Streikenden nach dem Ende der Arbeitsniederlegung unmöglich macht.
3. Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger während der streitbefangenen Zeiten wieder zur Arbeit heranzuziehen. Die Beschäftigung war ihr unmöglich oder zumindest unzumutbar.
a) Allerdings hat die Beklagte nicht dargelegt und das Landesarbeitsgericht auch nicht festgestellt, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände der Kläger im Einzelfall für den Rest der hier interessierenden Schichten nicht mehr eingesetzt wurde. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr den allgemein gehaltenen Vortrag der Beklagten genügen lassen und seiner rechtlichen Würdigung die verschiedenen Geschehensabläufe alternativ zugrunde gelegt. Danach hat die Beklagte den Kläger entweder deswegen nicht mehr beschäftigt, weil seine Arbeit – infolge der Reduzierung der Zeitungen auf Notausgaben oder infolge der Vergabe außer Hauses entfallen bzw. bereits durch eine Ersatzmannschaft erledigt war, oder deswegen, weil die Beklagte das Risiko weiterer Arbeitsniederlegungen während der laufenden Schicht vermeiden wollte, obwohl ihr der Einsatz des Klägers insoweit technisch noch möglich gewesen wäre.
Einzelheiten mußten in der Tat nicht aufgeklärt werden. Das ergibt sich allerdings nicht schon, wie die Beklagte meint, aus kampftaktischen Erwägungen. Es trifft nicht zu, daß ihr weiterer Sachvortrag unzumutbar wäre, weil sie sonst ihre Arbeitskampftaktik aufdecken müßte. Schützenswert kann nur das Interesse daran sein, für zukünftige Arbeitskämpfe geplantes Vorgehen geheimzuhalten. Es ist aber nicht ersichtlich, wieso dieses Interesse durch die Beschreibung vergangener betrieblicher Abläufe, die ohnehin schon zur Kenntnis der Arbeitnehmer gelangt sind, beeinträchtigt werden könnte. Der Vortrag der Beklagten reicht jedoch deshalb aus, weil danach in allen in Betracht kommenden Fallvarianten der Kläger das arbeitskampfbedingte Lohnrisiko tragen muß.
b) Die Beklagte konnte den Kläger nach dem Ende der jeweiligen Arbeitsniederlegung für den Rest der Schicht nicht mehr beschäftigen, wenn seine Arbeit zu diesem Zeitpunkt entfallen war. Diese Voraussetzung lag zum einen dann vor, wenn die von ihm geschuldeten Tätigkeiten in der betreffenden Schicht gar nicht anfielen, weil die zu druckende Zeitung auf eine Notausgabe mit begrenztem Umfang reduziert war. Dasselbe gilt, wenn die Arbeit bei Beendigung des Kurzstreiks bereits von einer Ersatzmannschaft erledigt worden war. Allerdings war in diesen beiden Fällen die Unmöglichkeit nicht ausschließlich durch Arbeitsniederlegungen verursacht; hinzu kam als weitere Ursache das „Notprogramm”, also Maßnahmen, welche die Beklagte ergriffen hat, um die Auswirkungen des Streiks möglichst gering zu halten. Das ist hier jedoch unschädlich.
aa) Der Arbeitgeber ist im Streikfall keineswegs gezwungen, die Folgen der Arbeitsniederlegung widerstandslos hinzunehmen. Er kann vielmehr – abgesehen von Aussperrungsmaßnahmen – versuchen, das mit dem Streik verfolgte Ziel der zeitweiligen Stillegung des Betriebs oder des bestreikten Betriebsteils zu unterlaufen, indem er ausgefallene Arbeiten an Dritte vergibt oder mit Hilfe arbeitswilliger, erforderlichenfalls auch neu eingestellter Arbeitnehmer nach entsprechender Umorganisation den Betrieb wenigstens teilweise aufrechterhält (BAGE 76, 196, 202 = AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 b der Gründe; BAGE 73, 320, 328 = AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III 1 d der Gründe). Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, daß der Arbeitgeber frei ist in der Entscheidung darüber, ob er sich derart dem Streik widersetzt und den Betrieb fortzuführen versucht.
Entfallen durch solche Gegenmaßnahmen – hier durch die Reduzierung der Zeitungen auf Notausgaben oder durch den Einsatz von Arbeitswilligen anstelle der Streikenden – notwendigerweise Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb, so ist dies als Streikfolge zu betrachten. Das ergibt sich daraus, daß Maßnahmen, die vom Arbeitgeber im Streikfall zur Minimierung einer Betriebsstörung ergriffen werden, durch die Arbeitsniederlegung bedingt und Teil des Systems von Druck und Gegendruck sind, das den Arbeitskampf kennzeichnet. Daß in derartigen Fällen die Nichtbeschäftigung durch Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers mitverursacht ist, steht einer Anwendung der Grundsätze des Arbeitskampfrisikos nicht entgegen.
bb) Allerdings sind die Arbeitnehmer mit den Folgen eines solchen Streikgegenprogramms nur dann zu belasten, wenn es sich nicht um vorbeugende Maßnahmen des Arbeitgebers handelt, die den Rahmen des Arbeitskampfs erweitern. Vielmehr muß es um die bloße Abwehr einer streikbedingten Störung gehen. Der Arbeitgeber kann sich also der Lohnzahlungspflicht nicht einfach dadurch entziehen, daß er eine Ersatzmannschaft einstellt, um möglichen Arbeitsniederlegungen seiner „streikanfälligen” Stammbelegschaft vorzubeugen, und sich insoweit auf die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos beruft. Ebensowenig entfallen die Entgeltansprüche, wenn der Arbeitgeber auf einen einzelnen, von vornherein begrenzten Kurzstreik mit dem Einsatz einer Ersatzmannschaft für die gesamte betroffene Schicht reagiert, obwohl die Wirkungen der Arbeitsniederlegung einer sinnvollen Beschäftigung der Streikenden nach Wiederaufnahme der Arbeit nicht entgegenstehen. In diesen Fällen würde der Arbeitgeber selbst im Arbeitskampf aktiv und Arbeitswilligen die Beschäftigung verweigern, ohne daß diese ihm unmöglich oder unzumutbar wäre. Das ist jedoch nur unter den Voraussetzungen und in der Form einer Aussperrung zulässig.
Bei Teil- und Wellenstreiks kann die Unterscheidung von bloßer Abwehr einer Betriebsstörung und eigener Kampfmaßnahme schwierig sein. Die unmittelbare Reaktion auf eine punktuelle und überraschende Aktion läßt sich nämlich nicht ohne weiteres so begrenzen, daß sie sich sowohl räumlich als auch zeitlich mit der einzelnen Streikmaßnahme deckt. Organisatorische Erfordernisse können es dem Arbeitgeber unmöglich oder unzumutbar machen, sich eng an schnell wechselnde Rahmen des Streikgeschehens zu halten und auf vorausschauende Planung zu verzichten. Ob die Reduzierung des Arbeitsprogramms oder die Weiterbeschäftigung von Ersatzkräften nach Beendigung eines Kurzstreiks noch als Abwehr einer Betriebsstörung oder schon als eigene Kampfmaßnahme zu werten ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von der Art des Streiks und der betrieblichen Tätigkeit.
cc) Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist das „Notprogramm”, das die Beklagte während der Nachtschichten aufgrund der jeweils am selben Tag vorangegangenen Streikmaßnahmen durchführte, als Abwehrmaßnahme zu werten und daher dem Arbeitskampfrisiko der Arbeitnehmer zuzurechnen.
Allerdings war das „Notprogramm” nicht in sämtlichen hier betroffenen Schichten eine Folge der Arbeitsniederlegung in der Rotation, an der sich der Kläger beteiligt hatte. Vielmehr begann es teilweise (am 30. Mai und am 15. Juni 1994) schon vorher, und überdies war am 15. Juni 1994 die Zeitung aufgrund dieses Programms bereits vor Streikbeginn fertiggestellt. Auch führten die Maßnahmen der Beklagten dazu, daß die Beschäftigung des Klägers und seiner Arbeitskollegen jeweils für eine Zeit unterblieb, die erheblich länger war als die Dauer der Arbeitsniederlegung, an der sie sich vorher beteiligt hatten. Diese Kurzstreiks dauerten zwischen einer halben und eindreiviertel Stunden, die Zeiten der Nichtbeschäftigung bis zum jeweiligen Schichtende betrugen dagegen zwischen drei und sieben Stunden.
Hierdurch verlagerte sich das Beschäftigungsrisiko indessen nicht auf die Beklagte. Sie war einem Streik ausgesetzt, der mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Schaden verursachen sollte. Die Zeiten der Beschäftigungsverweigerungen entfielen auf Tage, an denen die Beklagte einem Wellenstreik ausgesetzt war. Sie war von einer Reihe zeitlich und räumlich wechselnder Teil- und Kurzstreiks betroffen. Diese wurden jeweils überraschend angesetzt und hatten das Ziel, durch eng begrenzte Arbeitsniederlegungen möglichst die gesamte betriebliche Tätigkeit zu stören. Der Beklagten war vorher nicht bekannt, wann, wo und für welche Dauer die Arbeit jeweils niedergelegt würde. Betroffen war eine Produktion, die in hohem Maße störanfällig ist. Schon vergleichsweise geringe Verzögerungen machen Tageszeitungen wertlos, wenn sie nicht mehr am vorgesehenen Erscheinungstag vertrieben werden können. Hier kommt noch hinzu, daß das Notprogramm der Beklagten sich auf Nachtschichten bezog, während deren es besonders schwierig ist, im Fall einer plötzlichen Arbeitsniederlegung kurzfristig Aushilfskräfte heranzuziehen oder andere Maßnahmen zu treffen, um den Betrieb wenigstens teilweise aufrecht zu erhalten. Unter diesen Umständen ist das gesamte Streikgeschehen während der hier betroffenen Nachtschichten jeweils als Einheit zu betrachten. In diesem zeitlichen Rahmen sind die Folgen der Abwehrmaßnahmen des Arbeitgebers dem Arbeitskampfrisiko der Arbeitnehmer zuzurechnen.
c) Nichts anderes gilt, soweit die Vergabe von Arbeiten an Subunternehmen dazu geführt haben sollte, daß eine Beschäftigung des sonst mit entsprechenden Tätigkeiten befaßten Klägers unmöglich wurde. Hiervon ist beispielsweise dann auszugehen, wenn die technischen Voraussetzungen für die Herstellung der Zeitung im Betrieb der Beklagten infolge der Fremdvergabe nicht mehr vorgelegen haben sollten.
Aber selbst soweit es technisch noch möglich gewesen sein sollte, die außer Hauses vergebenen Arbeiten auch im Betrieb der Beklagten zu erledigen, wäre ihr dies jedenfalls innerhalb der begonnenen Nachtschichten nicht mehr zumutbar gewesen. Die Beklagte war gegenüber den Subunternehmen vertraglich gebunden. Ihre eigene Tätigkeit hätte nur noch zu einer wirtschaftlich sinnlosen und kostspieligen Doppelproduktion der Zeitung führen können.
d) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht schließlich davon ausgegangen, daß der Kläger das Risiko seiner Nichtbeschäftigung selbst für den Fall hätte tragen müssen, daß die Beklagte ihn nach der Rückkehr an seinen Arbeitsplatz unter Umständen wieder hätte beschäftigen können und hierzu bei einem Verzicht auf weitere Streikmaßnahmen in der laufenden Schicht bereit gewesen wäre, wie der Kläger behauptet hat.
Zwar hätte in einem solchen Fall, anders als in den vorstehend (b und c) erörterten Varianten, das Notprogramm der Beklagten einen erneuten Einsatz des Klägers nicht von vornherein ausgeschlossen. Seine Beschäftigung wäre ihr aber unzumutbar gewesen, weil er ebenso wie seine Kollegen während der bereits begonnenen Nachtschichten am Arbeitskampf teilgenommen und sich weitere Arbeitsniederlegungen vorbehalten hatte. Auch dies ergibt sich aus den oben (b cc) dargestellten Besonderheiten eines Wellenstreiks in einer Druckerei von Tageszeitungen.
Dem steht nicht entgegen, daß die Arbeitnehmer, wovon auch das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist, berechtigt waren, ihre Absichten bezüglich möglicher weiterer Arbeitsniederlegungen zu verschweigen. Daß das Verhalten der Arbeitnehmer rechtmäßig war, bedeutet nicht, daß die sich daraus ergebende Unsicherheit der Beklagten bei der Zumutbarkeitsprüfung außer Betracht bleiben müßte. Die Zuordnung des Arbeitskampfrisikos knüpft stets an rechtmäßiges Kampfverhalten an.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, Heisler, Rose
Fundstellen
BAGE, 302 |
BB 1996, 2691 |
NJW 1997, 1801 |
NZA 1997, 393 |
MDR 1997, 369 |
NJ 1997, 13 |