Leitsatz (amtlich)
1. Nutzungsentnahmen sind nicht mit dem Teilwert, sondern mit den tatsächlichen Selbstkosten des Steuerpflichtigen zu bewerten (Anschluß an Beschluß des Großen Senats vom 26.Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348, unter C.I.1.b. bb).
2. Wird ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens während seiner Nutzung durch den Steuerpflichtigen zu privaten Zwecken zerstört, so tritt bezüglich der stillen Reserven, die sich in dem Wirtschaftsgut bis zu seiner Zerstörung gebildet hatten, keine Gewinnrealisierung ein.
3. Besteht für das während der privaten Nutzung zerstörte Wirtschaftsgut eine Schadensersatzforderung, so ist sie unter dem Gesichtspunkt des "stellvertretenden commodum" im Betriebsvermögen erfolgswirksam zu erfassen.
Orientierungssatz
1. Die Nutzung eines zum Betriebsvermögen gehörenden PKW auf einer Privatfahrt ist nicht als Entnahme der Sache, sondern als Nutzungsentnahme zu beurteilen (Anschluß an BFH-Rechtsprechung).
2. Ergibt sich im Jahr 01 ein zu versteuerndes Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags (Steuer: 0 DM), so steht dem teilweisen Verlustrücktrag vom Jahr 02 auf das Jahr 01 die Verjährung nicht entgegen, weil nur die Steuer, nicht aber der Abzug von Verlusten verjähren kann. Eine Steuer von 0 DM kann nicht verjähren. Ob der Verlustabzug im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 01 förmlich vorgenommen wurde oder nicht, ist für die Höhe des Verlustvortrags nach dem Jahr 03 unerheblich , weil über den vortragsfähigen Verlust erst im Abzugsjahr entschieden wird (vgl. BFH-Urteil vom 8.12.1982 VIII R 53/82).
3. Ist während des Revisionsverfahrens (hier: wegen Verlustabzugs nach § 10d EStG) ein geänderter Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden, so bedarf es bezogen auf den Änderungsbescheid keiner tatsächlichen Feststellungen, wenn die Beteiligten übereinstimmend erklärt haben, daß zwischen ihnen bezüglich der steuerlichen Behandlung des entsprechenden Sachverhalts kein Streit besteht. Eine Entscheidung nach § 127 FGO erübrigt sich deshalb (Literatur).
Normenkette
EStG 1977 § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4, § 6 Abs. 1 S. 1; EStG § 10d; EStG 1977 § 6 Abs. 1 S. 4; FGO §§ 68, 123, 127, 118 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Jahren 1977 bis 1979 gewerblicher Einzelunternehmer. Zu seinem Betriebsvermögen gehörte im Jahre 1978 ein PKW, der damals auf einen Buchwert von 1 DM abgeschrieben war. Diesen PKW nutzte der Kläger im November 1978 auf einer Privatfahrt. Dabei wurde der PKW vollständig zerstört. Der Kläger erzielte für den Schrottwert des PKW noch 300 DM. Außerdem erhielt er von der Versicherung seines Unfallgegners 40 v.H. des eigenen Schadens (*= 1 000 DM) ersetzt. Ein Sachverständiger ermittelte den Zeitwert des PKW unmittelbar vor dem Unfall mit 2 800 DM.
Durch den Unfall entstanden dem Kläger im Jahre 1978 Mietkosten für einen Ersatz-PKW in Höhe von 329,22 DM, wovon ihm die Versicherung des Unfallgegners in 1979 40 v.H. = 131,68 DM erstattete.
Der Kläger behandelte die Erstattungsleistung der Versicherung als Einlage des Jahres 1979 und den Erlös aus dem Verkauf des Schrotts als Betriebseinnahme des Jahres 1978. Den Buchwert von 1 DM löste er zu Lasten des Aufwandes 1978 auf.
Nach einer Außenprüfung nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) eine Entnahme des PKW an. Er ermittelte den Wert der Entnahme unter Berücksichtigung des Schrottwertes und des weggefallenen Buchwertes mit 2 499 DM und minderte den Verlust aus Gewerbebetrieb des Klägers für das Jahr 1978 um diesen Betrag. Außerdem erkannte es die Aufwendungen für den Mietwagen in Höhe von 329,22 DM nicht als Betriebsausgaben an. Dadurch ergab sich ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte 1978 in Höhe von ./. 17 032 DM, der nach 1977 rückgetragen wurde. Im Einkommensteuerbescheid 1977 vom 1.Februar 1983 wurde das zu versteuernde Einkommen nach Verlustrücktrag mit 768 DM und die festzusetzende Einkommensteuerschuld mit 0 DM ausgewiesen. Im Einkommensteuerbescheid 1979 vom 1.Februar 1983 wurde die Einkommensteuerschuld ohne Berücksichtigung eines Verlustvortrags mit 2 920 DM festgesetzt.
Mit seinem Einspruch vom 4.März 1983 gegen den Einkommensteuerbescheid 1979 machte der Kläger einen Verlustvortrag in Höhe von 2 997 DM (*= Zeitwert des PKW in Höhe von 2 800 DM + 60 v.H. der Mietwagenkosten) aus dem Jahr 1978 geltend, weil eine weitere Berücksichtigung des Verlustes 1978 bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1977 aus Verjährungsgründen gemäß § 10d Satz 3 zweiter Halbsatz des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr möglich sei. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision macht der Kläger die Verletzung des § 4 Abs.1 i.V.m. § 6 Abs.1 Nr.4 EStG, des § 10d EStG und des § 126 Abs.1 Nr.2 und Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geltend.
Er beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Einkommensteuerbescheid 1979 vom 24.September 1985 zu ändern und die Einkommensteuer nach einem um 2 997 DM geminderten Einkommen festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
A.
Die Revision ist nicht schon deshalb begründet, weil das FA während des Revisionsverfahrens einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1979 erließ und der Kläger diesen gemäß §§ 121, 123, 68 FGO in das Revisionsverfahren überleitete. Zwar fehlen bezogen auf den geänderten Bescheid die notwendigen tatsächlichen Feststellungen des FG. Die Beteiligten haben jedoch übereinstimmend erklärt, daß zwischen ihnen bezüglich der steuerlichen Behandlung des entsprechenden Sachverhaltes kein Streit besteht. Damit bedarf es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen, weshalb sich auch eine Entscheidung nach § 127 FGO erübrigt (vgl. Geist, Finanz-Rundschau --FR-- 1989, 229 unter V. 5.b.bb (3)).
B.
Die vom FG vertretene Rechtsauffassung hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand:
1. Das FG hat zutreffend bei der steuerlichen Gewinnermittlung 1978 des Klägers dessen Entnahmen berücksichtigt. Das entsprechende Gebot ergibt sich aus § 5 Abs.4 EStG 1977.
2. Das FG hat ebenso zutreffend die Nutzung des zum Betriebsvermögen gehörenden PKW auf einer Privatfahrt nicht als Entnahme der Sache nach beurteilt. Dies entspricht allgemeiner Auffassung (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9.Oktober 1953 IV 536/52 U, BFHE 58, 120, BStBl III 1953, 337; vom 13.Mai 1959 IV 131/58 U, BFHE 69, 22, BStBl III 1959, 269; vom 29.April 1970 IV R 192/67, BFHE 99, 523, BStBl II 1970, 754; vom 17.Januar 1974 IV R 93/70, BFHE 111, 322, BStBl II 1974, 240; vom 11.Oktober 1979 IV R 125/76, BFHE 129, 40, BStBl II 1980, 40; vom 26.Juli 1979 IV R 170/74, BFHE 129, 315, BStBl II 1980, 176; Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26.Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, § 4 Anm.59, Stichwort: "Nutzung" a) bb); Bordewin in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, §§ 4-5 Rdnr.239 d; Nieland in Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuergesetz, §§ 4, 5 Rdnr.199 ff.; Birkholz in Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, §§ 4, 5 Rdnr.122; Biergans, Einkommensteuer und Steuerbilanz, 4.Aufl., S.494), der sich der erkennende Senat anschließt.
3. Das FG hat ebenso zutreffend die Nutzung des dem Betriebsvermögen angehörenden PKW auf einer Privatfahrt einschließlich des dadurch ausgelösten Unfalls als eine Nutzungsentnahme i.S. des § 4 Abs.1 Satz 2 EStG beurteilt. Nach dem Klammerzusatz zu dieser Vorschrift sind u.a. Nutzungen von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens für außerbetriebliche Zwecke als Entnahmen zu behandeln. Die Entnahmehandlung des Klägers ist darin zu sehen, daß er willentlich und wissentlich den PKW des Betriebsvermögens zu privaten Zwecken nutzte. Darauf, ob der Kläger den Unfall wollte oder nicht, kommt es steuerrechtlich nicht an.
4. a) Zu Unrecht hat das FG aus seiner Annahme einer Nutzungsentnahme auf deren Bewertung mit dem Teilwert geschlossen. Nach § 6 Abs.1 Nr.4 EStG gilt das Gebot, die Entnahme mit dem Teilwert zu bewerten, nur für Wirtschaftsgüter, die nach § 4 Abs.1 oder nach § 5 EStG als Betriebsvermögen anzusetzen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348, unter C.I.1.a. m.w.N.) muß es sich dabei um bilanzierungsfähige Wirtschaftsgüter handeln. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 6 Abs.1 Satz 1 EStG als auch aus der Verwendung des Teilwertbegriffes. Die Definition des Teilwertes in § 6 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG bezieht sich nur auf bilanzierungsfähige Wirtschaftsgüter.
b) Die Rechtsprechung hat die bezüglich der Bewertung von Nutzungsentnahmen bestehende Gesetzeslücke durch den Ansatz der tatsächlichen Selbstkosten geschlossen (vgl. BFH in BFHE 58, 120, BStBl III 1953, 337; vom 19.Dezember 1977 VI R 198/76, BFHE 124, 428, BStBl II 1978, 287; in BFHE 129, 315, BStBl II 1980, 176; vom 30.Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610; in BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348, unter C.I. 1.b.bb m.w.N.). An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest. Sie entspricht dem Sinn der Regelung. Die Bewertung der Entnahme mit dem Teilwert findet ihre Rechtfertigung darin, daß die in dem Buchwert des Wirtschaftsgutes ruhenden stillen Reserven in das Privatvermögen überführt werden. Stille Reserven können sich nur in bilanzierungsfähigen Wirtschaftsgütern ansammeln. Durch die private Nutzung solcher Wirtschaftsgüter mögen zwar stille Reserven vernichtet werden können. Sie werden jedoch auch dann nicht in das Privatvermögen überführt. Damit fehlt es bezüglich der vernichteten stillen Reserven an der Verwirklichung eines unter § 4 Abs.1 Satz 2 EStG fallenden Tatbestandes. Dies ist der Grund, weshalb stille Reserven bei der Bewertung einer Nutzungsentnahme außer Betracht bleiben müssen. Die durch § 4 Abs.1 Satz 1 EStG vorgesehene Korrektur findet nur in Höhe der durch die Nutzungsentnahme bewirkten Minderung des buchmäßigen Betriebsvermögens statt. Dies sind die Selbstkosten (vgl. Plückebaum in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 4 Anm.B 303). Bezüglich des Betrages von 2 800 DM bzw. 2 500 DM fehlt es deshalb an der Verwirklichung eines Gewinnrealisationstatbestandes. Die vom FA vorgenommene Erhöhung des Gewinns 1978 um 2 500 DM ist fehlerhaft.
5. Das FG hat zutreffend den Erlös aus dem Verkauf des zerstörten PKW (300 DM) als Betriebseinnahme angesetzt. Es hätte ebenso die Schadensersatzleistungen des Unfallgegners (1 000 DM) als Betriebseinnahme erfassen müssen. Es handelt sich insoweit um das "stellvertretende commodum" (vgl. § 281 des Bürgerlichen Gesetzbuches), das im Betriebsvermögen des Klägers an die Stelle des zerstörten PKW trat. Die Frage, ob die Schadensersatzleistung mit der Minderung des buchmäßigen Betriebsvermögens zu verrechnen ist, stellt sich im Streitfall nicht, weil der zerstörte PKW vollständig abgeschrieben war. Mit seiner Auffassung weicht der erkennende Senat nicht von dem BFH-Urteil vom 15.Dezember 1977 IV R 78/74 (BFHE 124, 185, BStBl II 1978, 212) ab. Das Urteil des IV.Senats betrifft eine Insassenunfallversicherung. Ansprüche daraus treten nicht im Sinne eines "stellvertretenden commodum" an die Stelle des zerstörten Wirtschaftsgutes des Betriebsvermögens.
6. Soweit im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen Mietwagen- und Gutachterkosten angefallen sind, handelt es sich um Betriebsausgaben des Klägers, wenn der Mietwagen betrieblich genutzt wurde bzw. der Gutachter die Höhe des "stellvertretenden commodum" zu ermitteln hatte. Die Betriebsausgaben sind netto, d.h. nach Abzug der in Rechnung gestellten Vorsteuer abzusetzen (vgl. § 9b EStG). Die dem Kläger als Schadensersatz erstatteten Betriebsausgaben sind dessen Betriebseinnahmen.
7. Zu Unrecht geht der Kläger davon aus, daß in Höhe des vom FA im Bescheid vom 1.Februar 1983 ermittelten zu versteuernden Einkommens 1977 (768 DM) ein Verlustrücktrag von 1978 nach 1977 unmöglich sei, weil die Steuerfestsetzung aus Verjährungsgründen nicht geändert werden könnte. § 10d Satz 4 EStG 1977 stellt nicht auf die formelle Änderungsmöglichkeit der Steuerfestsetzung, sondern darauf ab, ob ein Abzug der nicht ausgeglichenen Verluste nach den Sätzen 1 bis 3 noch möglich ist. Der Abzug ist jedoch auch dann noch möglich, wenn er sich wegen des Grundfreibetrages auf die Steuerfestsetzung nicht auswirkt. Auf den Streitfall bezogen stehen dem keine Verjährungsüberlegungen entgegen, weil nur die Steuer, nicht aber der Abzug von Verlusten verjähren kann. Im Streitfall betrug die Einkommensteuer 1977 0 DM. Eine Steuer von 0 DM kann aber nicht verjähren. Deshalb steht die Verjährung dem teilweisen Verlustrücktrag nach 1977 nicht entgegen. Ob der Verlustabzug in dem Einkommensteuerbescheid 1977 förmlich vorgenommen wurde oder nicht, ist für die Höhe des Verlustvortrags nach 1979 unerheblich, weil über den vortragsfähigen Verlust erst in dem Abzugsjahr entschieden wird (vgl. BFH-Urteil vom 8.Dezember 1982 VIII R 53/82, BFHE 139, 28, BStBl II 1983, 710 m.w.N.). Deshalb ist nur im Rahmen des Einkommensteuerbescheides 1979 darüber zu befinden, welcher Teil des Verlustes 1978 nach 1977 hätte rückgetragen werden können.
C.
1. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Insoweit kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen über die angefallenen Gutachterkosten getroffen. Sie nachzuholen ist die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 62745 |
BFH/NV 1989, 42 |
BStBl II 1990, 8 |
BFHE 157, 521 |
BFHE 1990, 521 |
BB 1989, 2010-2011 (LT1-3) |
DB 1989, 2253-2255 (LT) |
DStR 1989, 637 (KT) |
HFR 1990, 15 (LT) |