Veräußerungsgeschäft des Einzelrechtsnachfolgers nach unentgeltlichem Erwerb
Hintergrund: Grundstücksentnahme und Veräußerung innerhalb der Zehn-Jahres-Frist
Streitig ist die Höhe der Anschaffungskosten bei der Ermittlung des Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft.
V war Inhaber eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs. In 2007 übertrug er im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück an die Geschwister A und B, ohne einen Entnahmegewinn zu erklären. Das Grundstück wurde lediglich nicht mehr als Betriebsvermögen behandelt. Der ESt-Bescheid für V wurde bestandskräftig.
In 2016 (damit innerhalb der Zehn-Jahres-Frist) veräußerten A und B das Grundstück. Der Kaufpreis wurde im Juni 2017 gezahlt.
Das FA setzte im Bescheid für 2017 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG an. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns setzte es die nach § 55 EStG ermittelten Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers V an (Veräußerungserlös 570.600 EUR ./. Anschaffungskosten 11.582 EUR = Veräußerungsgewinn 559,018 EUR).
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. An die Stelle der Anschaffungskosten trete nach § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG in den Fällen des § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG (d.h. bei Überführung in das Privatvermögen durch Entnahme) der nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG angesetzte Teilwert. Der "angesetzte Wert" i.S.d. § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG entspreche im Streitfall dem Buchwert des Grundstücks von 11.582 EUR im Zeitpunkt der Entnahme.
Entscheidung: Buchwert als angesetzter Wert
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Wird ein Wirtschaftsgut ohne Aufdeckung der stillen Reserven (erfolgsneutral) aus dem Betriebsvermögen entnommen, ist der bis zum Zeitpunkt der Entnahme in der Bilanz (bzw. im Anlagenverzeichnis) erfasste Buchwert der "angesetzte" Wert i.S.d. § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG.
Wörtliche Auslegung
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG. Danach tritt an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der "angesetzte" (Entnahme-)Wert. Ein Wert ist nur im Sinne der Norm "angesetzt", wenn er einer Steuerfestsetzung zugrunde gelegen hat. Wird ein Wirtschaftsgut erfolgsneutral entnommen, entspricht der angesetzte Wert dem Buchwert im Zeitpunkt der Entnahme. Denn bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich entsteht durch die Ausbuchung des Wirtschaftsguts in Höhe des Buchwertes eine Vermögensminderung. Die Erfolgsneutralität dieser Buchung kann daher nur durch den Ansatz einer Entnahme in derselben Höhe erreicht worden sein.
Sinn und Zweck der Regelung
Durch den Ansatz des Entnahmewerts, der der Steuerfestsetzung des Rechtsvorgängers zugrunde gelegen hat, wird sichergestellt, dass Wertsteigerungen (stille Reserven), die zwischen Anschaffung oder Herstellung und Entnahme entstanden sind und der Entnahmebesteuerung unterlegen haben, bei der späteren Veräußerung nicht erneut steuerlich erfasst und damit doppelt besteuert werden.
Sind aber stille Reserven tatsächlich nicht erfasst worden, so kann es zu keiner Doppelbesteuerung kommen. Zudem soll durch die Bezugnahme auf den angesetzten (Entnahme-)Wert sichergestellt werden, dass bei einer steuerbaren Veräußerung alle bis zur Veräußerung entstandenen stillen Reserven einmal der Besteuerung unterworfen werden. Denn auszugehen ist von dem angesetzten und nicht von dem anzusetzenden Entnahmewert. Der angesetzte Entnahmewert tritt daher auch dann an die Stelle der Anschaffungs- oder Herstellungskosten, wenn er fehlerhaft zu hoch oder zu niedrig angesetzt worden ist.
Gesetzeshistorie
Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Gesetzeshistorie bestätigt. Mit der Neuregelung des § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 (v. 24.3.1999, BGBl I 1999 S. 402) wurde erstmals auch die Veräußerung eines zuvor aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführten Grundstücks innerhalb der zehnjährigen Frist der Besteuerung unterworfen. Hintergrund der Neuregelung war zudem, bei einer steuerbaren Veräußerung innerhalb von zehn Jahren auch die stillen Reserven nachträglich zu besteuern, die bereits im Zeitpunkt der vorhergehenden Entnahme hätten aufgedeckt und besteuert werden müssen.
Keine Berücksichtigung eines fiktiven Teilwerts
§ 23 Abs. 3 EStG lässt keine Auslegung zu, einen im Zeitpunkt der Entnahme nicht der Besteuerung zugrunde gelegten Teilwert nachträglich (fiktiv) zu ermitteln und bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns zu berücksichtigen. Derjenige, der – wie im Streitfall – keinen Entnahmegewinn erklärt hat, darf nach § 23 Abs. 3 EStG nicht bessergestellt sein als derjenige, der einen solchen zu niedrig erklärt hat.
Zutreffende Ermittlung des Veräußerungsgewinns durch FA und FG
Hiervon ausgehend waren die ursprünglichen Anschaffungskosten des V (11.582 EUR) bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns zu berücksichtigen. Denn V hatte das Grundstück mit einem Buchwert von 11.582 EUR im Betriebsvermögen erfasst und erfolgsneutral entnommen. Folglich ist das Grundstück mit dem Buchwert (11.582 EUR) ausgebucht und dieser Wert somit bei der Besteuerung "angesetzt" worden.
Hinweis: Nachträgliche Besteuerung der stillen Reserven
Die ESt-Veranlagung des V war bestandskräftig. Die bislang unversteuert gebliebenen stillen Reserven konnten verfahrensrechtlich bei V für den Veranlagungszeitraum der Entnehme (2007) nicht mehr erfasst werden. Sie wurden nunmehr im Rahmen des § 23 EStG bei einer Veräußerung innerhalb von zehn Jahren nachträglich der Besteuerung unterworfen. Die Regelung dient der Sicherstellung der stillen Reserven in Fällen, in denen bei der Entnahme ein zu niedriger Wert angegeben wurde oder das Grundstück erfolgsneutral ausgebucht wurde und die Veranlagung des Entnahmejahrs nicht mehr geändert werden kann.
BFH Urteil vom 06.12.2021 - IX R 3/21 (veröffentlicht am 14.04.2022)
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