Im Dezember 2014 wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein bemerkenswertes Urteil über Videoüberwachung im öffentlichen Raum publiziert. Herr R., wohnhaft in Ungarn, installierte 2007 eine Kamera fest an seinem Haus. Diese kontrollierte den Eingang des Hauses, den öffentlichen Straßenraum sowie den Eingang des gegenüberliegenden Hauses. Die Anlage nahm Videoaufzeichnungen auf und speicherte diese auf der Festplatte. Der Grund für den Betrieb dieser Kamera war, das Eigentum, die Gesundheit und das Leben von R. und seiner Familie zu schützen: R. selber und seine Familie waren mehrere Jahre lang Ziel von Angriffen eines Unbekannten gewesen, den man nicht entlarven konnte. In einer Oktobernacht 2007 fand ein weiterer Angriff statt.
Dank der Videoüberwachungsanlage konnten zwei Verdächtige identifiziert werden. Die Aufzeichnungen wurden der Polizei übergeben und anschließend im Rahmen des eingeleiteten Strafverfahrens verwertet. Einer der Verdächtigen beantragte die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Überwachungssystems von Herrn R. Ein Gerichtsentscheid in Ungarn stellte fest, dass Herr R. Zuwiderhandlungen gegen die Datenschutzbestimmungen begangen hätte, weil er Daten über Personen auf der Straße gesammelt hätte, ohne sie vorher zu informieren und ihre Einwilligung einzuholen.
Der Fall gelangte vor den EuGH. Nach Artikel 7 der Charta der Grundrechte der EU hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation. Eine ganz ähnliche Formulierung steht in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach ständiger Rechtsprechung, so der EuGH, verlangt der Schutz des Grundrechts auf Privatleben, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen des Schutzes der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen.
Die Bestimmungen der Datenschutzrichtlinie 95/46 wurden nicht angewendet auf Verarbeitung personenbezogener Daten, die von einer natürlichen Person zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen wird. Sobald sich aber eine Videoüberwachung auch nur teilweise auf den öffentlichen Raum erstreckt und dadurch auf einen Bereich außerhalb der privaten Sphäre desjenigen gerichtet ist, der die Daten auf diese Weise verarbeitet, ist sie nicht als eine ausschließlich "persönliche oder familiäre" Tätigkeit anzusehen, entschied der EuGH. Allerdings seien dabei gegebenenfalls die berechtigten Interessen des Datensammlers zu berücksichtigen, wie der Schutz des Eigentums, der Gesundheit und des Lebens, auch der Angehörigen.
Dieses Urteil müsste weitreichende Konsequenzen haben. Demnach wären z. B. Street-View-Aufnahmen ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Hausbewohner – nicht nur der Hausbesitzer – verboten. Kameras von Unternehmen, die Passanten registrieren, wären ebenfalls nicht erlaubt. Und ganz und gar verboten wäre die Überwachung von Nutzern durch Smart-Geräte. Dabei stellt sich die Frage, wie weit dieses Urteil durch die Datenschutz-Grundverordnung, bzw. das BDSG [ab 25.5.2018] umgesetzt wurde.
Das EuGH-Urteil und das neue Recht
Es lässt sich heute schwer beurteilen, wie die Grundsätze des EuGH-Urteils im neuen Recht anzuwenden sind. Dazu ist Folgendes zu bemerken:
Nach § 4 BDSG [ab 25.5.2018] ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) zur Wahrnehmung des Hausrechts zulässig. Das würde also bedeutet, man kann Einbrecher und andere Personen, die sich dem Privatgrundstück nähern auch mit einer Videokamera überwachen, was nach EuGH-Urteil untersagt wäre.
Im Prinzip geht das neue Recht dem alten vor, aber auch das übergeordnete EU-Recht dem nationalen. Der EuGH beurteilt das Recht im EU-Raum, das BDSG betrifft aber nur Deutschland. Sofern direkt das EU-Recht gilt werden die Vorschriften des BDSG nicht angewendet (§ 1 BDSG [ab 25.5.2018]).