I. Allgemeines
Rz. 156
Die Möglichkeiten der Überprüfung eines amtsgerichtlichen Urteils sind im Ordnungswidrigkeitenverfahren stark beschränkt, was der Vereinfachung und Beschleunigung des Massenverfahrens geschuldet ist. Dennoch darf die Entlastung der Gerichte diesbezüglich nicht die verfassungsmäßigen Rechte des Betroffenen beschneiden. Folglich führt die Versagung rechtlichen Gehörs stets zur Überprüfbarkeit des Urteils, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG. Somit kommt der Vorbereitung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung und dort insbesondere den eben dargelegten Beweisanträgen auch erhöhte Bedeutung zu.
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch keine zweite Tatsacheninstanz, weshalb eine präzise Verteidigung vor dem Amtsgericht unerlässlich ist.
Rz. 157
Gem. § 79 Abs. 3 OWiG gelten die Regelungen der StPO und des GVG über die Revision entsprechend – vorbehaltlich einiger Besonderheiten. Die Rechtsbeschwerde ist gegen Urteile und Beschlüsse statthaft, § 79 Abs. 1 OWiG, das zuständige OLG entscheidet als Einzelrichter meist im Beschlusswege gem. § 79 Abs. 5 OWiG. Gegen verhältnismäßig geringfügige Ahndungen stellt die Zulassungsrechtsbeschwerde des § 80 OWiG hohe Hürden auf.
II. Zulassungsfreie Rechtsbeschwerde
Rz. 158
Die Fälle einer stets zulässigen Rechtsbeschwerde werden in § 79 Abs. 1 OWiG abschließend aufgeführt. Es handelt sich um Ahndungen mit Bußgeldern von mehr als 250 EUR gem. Nr. 1 bzw. um Ahndungen mit angeordneten Nebenfolgen gem. Nr. 2. Hierunter fällt vor allem das Fahrverbot – die Eintragung von Punkten im FAER hingegen nicht. Laut Nr. 3 kann die Staatsanwaltschaft eine Rechtsbeschwerde zulasten des Betroffenen erst bei einem Bußgeld von 600 EUR oder bei einem aufgehobenen Fahrverbot einlegen. Zudem sind Rechtsbeschwerden stets möglich gem. Nr. 4 gegen Verwerfungsurteile wegen unzulässiger Einsprüche und gem. Nr. 5 gegen Beschlüsse nach § 72 OWiG, welchen rechtzeitig widersprochen wurde.
Rz. 159
Bei den hier behandelten Ordnungswidrigkeiten wird nach der BKatV regelmäßig die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG in Höhe von 250 EUR nicht erreicht, ohne dass zusätzlich ein Fahrverbot zu verhängen ist. Allenfalls bei Wiederholungstätern oder in Ausnahmefällen wird das Bußgeld ausnahmsweise zu erhöhen sein. Daher ist betreffend der hier thematisierten Bußgeldbescheide von Anfang an daran zu denken, dass ohne ein drohendes Fahrverbot die Entscheidung des Amtsgerichts wohl endgültig sein wird – vorbehaltlich der nachfolgend thematisierten Zulassungsgründe.
III. Zulassungsbeschwerde
Rz. 160
Andernfalls ist die Rechtsbeschwerde gegen Urteile nur möglich, wenn sie auf Antrag zugelassen wird, § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG i.V.m. § 80 OWiG. Hierüber hat das Beschwerdegericht zu entscheiden, wobei eine Zulassung nur in den drei Varianten der Norm möglich ist:
Zudem wird die Beschwerdemöglichkeit nach Abs. 2 der Norm nochmals eingegrenzt, indem bei Bußgeldern bis 100 EUR bzw. im Falle des Freispruches oder der Einstellung bis 150 EUR keine Verfahrensrügen angebracht werden können und das materielle Recht nur zur Rechtsfortbildung überprüfbar ist – mit Ausnahme der Versagung des rechtlichen Gehörs. Ob die aktuell geplante Gesetzesänderung diesbezüglich durchgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sind die Hürden für die Zulassung der Rechtsbeschwerde hoch. Gegen einen Beschluss nach § 72 OWiG ist die Zulassungsrechtsbeschwerde nicht statthaft – § 80 Abs. 1 OWiG verweist ausdrücklich nur auf § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG.
Zulassungsrechtsbeschwerde als taktisches Mittel
Auch bei geringen Erfolgsaussichten kann die Zulassungsrechtsbeschwerde aus taktischen Gründen geboten sein. Die Bearbeitungszeit ist unterschiedlich, liegt jedoch bei rund drei bis sechs Monaten. Damit ist das Rechtsmittel durchaus ein Instrument im Hinblick auf Punktetilgungen im FAER.
1. Fortbildung des Rechts
Rz. 161
Die erste Variante ist kaum praxisrelevant. Es geht darum, den nachgeordneten Gerichten Klarheit bei der Auslegung von Rechtssätzen und der Ausfüllung von Gesetzeslücken durch das Beschwerdegericht zu verschaffen. Insbesondere geht es nicht um Einzelfallgerechtigkeit.
2. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
Rz. 162
Auch bei dieser Variante geht es nicht um Einzel...