Rz. 232

Der Verkehrsunterricht nach § 48 StVO dient der Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr und soll erkennbaren Wissens- bzw. Einsichtsdefiziten von Verkehrsteilnehmern entgegenwirken. Er dient hingegen nicht zu repressiven Zwecken.[535] Von der Anordnungsmöglichkeit machen Verwaltungsbehörden in der Praxis wenig Gebrauch. Vereinzelt ist aber zu beobachten, dass bei relativ geringfügigen Verkehrsverstößen – oft bei Geschwindigkeitsüberschreitung oder Rotlichtmissachtung – eine Vorladung zum Verkehrsunterricht erfolgt.

 

Rz. 233

Gemäß § 48 StVO ist die Vorladung zum Verkehrsunterricht nur zulässig, wenn davon auszugehen ist, dass der Betroffene einer Belehrung bedarf, also einen Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr benötigt. Es muss also feststehen, dass der Betroffene Verkehrsvorschriften nicht oder nur unzureichend kennt bzw. beherrscht bzw. dass er die Bedeutung und Tragweite einer Vorschrift nicht erfasst. Die Vorladung zum Verkehrsunterricht ist unzulässig, wenn davon auszugehen ist, dass der Verkehrsteilnehmer den Verstoß in Kenntnis der Vorschrift missachtet hat.[536] Nach der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 48 StVO kann eine einmalige Verfehlung dann eventuell Anlass zu einer Vorladung zum Verkehrsunterricht geben, wenn ein grober Verstoß gegen eine grundlegende Vorschrift vorliegt oder wenn der Betroffene sich besonders uneinsichtig gezeigt hat.

 

Rz. 234

Nach der Rechtsprechung ist die Vorladung zum Verkehrsunterricht allerdings nur ausnahmsweise zulässig und zwar dann, wenn der Betroffene über etwas belehrt werden kann, was er nicht weiß, nicht versteht und in seiner Tragweite nicht begreift oder wenn feststeht, dass er eine wichtige Verkehrsvorschrift vergessen hat.[537] Wenn keine Anhaltspunkte vorliegen, dass ein Erziehungsbedürfnis bei dem Betroffenen besteht, ist die Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht fehlerhaft.[538] Ansonsten muss regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Wirkung des Bußgeldes auf den Betroffenen ausreicht, es also keiner zusätzlichen Maßnahme bedarf. Bei einem drohenden bzw. vollstreckten Fahrverbot werden die Anforderungen noch höher zu stellen sein.[539]

 

Rz. 235

Regelmäßig wird bei einem Betroffenen, der erstmals einen Verstoß begeht, die Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht gem. § 48 StVO ausscheiden. Abs. 2 S. 5 der VwV zu § 48 StVO stellt jedoch ausdrücklich klar, dass die Anordnung aber sehr wohl auch hier möglich ist. Hierzu müssen aber Anhaltspunkte vorliegen, dass bei dem Betroffenen ein ganz besonderes Erziehungsbedürfnis erforderlich ist.[540] Auch sind die Anhaltspunkte entsprechend darzulegen, andernfalls ist die Anordnung ermessensfehlerhaft.[541] Bei einem Mehrfachtäter wird der Verkehrsunterricht hingegen leichter angeordnet werden, wenn er durch die Wiederholungstat gezeigt hat, dass ein Erziehungsbedürfnis vorliegt. Ob weniger gewichtige Verstöße in ihrer Summe ausreichen, wird Tatfrage bleiben.[542]

 

Rz. 236

Wer entgegen § 48 StVO einer rechtskräftigen Vorladung zum Unterricht nicht folgt, handelt zwar ordnungswidrig und kann mit einem Bußgeld belegt werden. Eine zwangsweise Durchsetzung ist grundsätzlich möglich, jedoch wird eine unfreiwillige Teilnahme dem Normzweck nicht gerecht werden.[543] Gegen die Vorladung ist das Rechtsmittel des Widerspruchs zulässig, welcher gem. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet.[544] In der Praxis wird aufgrund des Erziehungsgedankens oft die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO. Dann muss neben dem Widerspruch auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werden.

 

Rz. 237

Einige Rechtsschutzversicherer gewähren Versicherungsschutz in derartigen Verwaltungsstreitigkeiten z.T. bereits für die Anfechtung des Bescheids, der den Verkehrsunterricht anordnet (also noch vor dem Widerspruchsverfahren).

 

Rz. 238

 

Praxistipp

Wegen der aus den dargestellten Gründen oft großen Erfolgsaussichten führt ein anwaltliches Vorgehen gegen die Anordnung des Verkehrsunterrichts meist zu einer hohen Mandantenzufriedenheit und – bei Eintrittspflicht einer Rechtsschutzversicherung – auch aufgrund des verwaltungsrechtlichen Regelstreitwertes zu einem interessanten Honorar.

[535] Hierzu auch: Koehl, SVR 2018, 298, 299; Müller, DAR 2019, 70, 74.
[536] Müller, VD 2001, 263; vgl. auch Rebler, VD 2005, 297.
[537] Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StVO § 48 Rn 4 m.w.N.
[538] VGH München NZV 1991, 207; zu dem gesamten Problem: Beck, DAR 1993, 405; vgl. auch BVerfG NJW 1967, 1221.
[539] VG Frankfurt (Oder), Gerichtsbescheid v. 26.7.2016 – 2 K 1534/15, Rn 28, juris = zfs 2016, 717.
[540] Fraglich: VGH München, Beschl. v. 29.10.2014 – 11 ZB 14.1026, Rn 13, juris = NZV 2015, 311 = NJW 2015, 649; VGH München, Beschl. v. 20.10.2017 – 11 ZB 17.1920, Rn 9, juris.
[541] VG Frankfurt (Oder), Entsch. v. 26.7.2016 – VG 2 K 1534/15, juris = zfs 2016, 717.
[542] VG München, Urt. v. 27.6.2017 – M 23 K 16.948, Rn 24, juris.
[543] So auch Fre...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?