1. Bedeutung der Rechtsform
Rz. 2
Die geringe Zahl an Aktiengesellschaften, die sich in den letzten zehn Jahren um fast 20 % verringert hat (aktuell dürfte sich die Zahl in einer Größenordnung von 14.000 bis 15.000 bewegen gegenüber deutlich mehr als 1,3 Mio. GmbHs), steht im Gegensatz zur wirtschaftlichen Bedeutung der Rechtsform. Etwa ein Drittel des Umsatzes der deutschen Industrie wird durch Unternehmen in der Rechtsform der AG erwirtschaftet. Große Unternehmen sind regelmäßig als Aktiengesellschaft organisiert. Die am 10.8.1994 in Kraft getretenen Regeln für die sog. "kleine" Aktiengesellschaft (siehe Rdn 9) und insbesondere die zeitgleich erfolgte mitbestimmungsrechtliche Gleichstellung der AG mit der GmbH (siehe dazu Rdn 7) haben die AG auch für mittlere und kleine Unternehmen interessant gemacht. Seit Beginn der 1990er Jahre ist die Zahl der Aktiengesellschaften stark angestiegen.
2. Charakteristika der Rechtsform
Rz. 3
Die AG ist wie die GmbH Körperschaft, juristische Person und Formkaufmann. Sie haftet ihren Gläubigern mit dem Gesellschaftsvermögen; die Haftung der Aktionäre beschränkt sich auf die Aufbringung der von ihnen gezeichneten Einlage.
a) Erscheinungsformen
Rz. 4
Die Zwecke der AG sind beliebig, ihre Erscheinungstypen vielfältig: Leitbild der gesetzlichen Regeln ist die Publikums-AG, bei der sich die Aktien im Streubesitz eines breiten, anonymen Anlegerpublikums befinden, zu dem institutionelle Anleger wie Versicherungen, Fondsgesellschaften oder Pensionssicherungsvereine ebenso gehören wie private Kleinanleger. Daneben steht die Familien-AG mit einem geschlossenen, überschaubaren Aktionärskreis, der sich durch Vinkulierung der Aktien vor Fremdeinflüssen abschirmt. Die Ein-Mann-AG begegnet insbesondere in Konzernen als Organisationsform von Zwischengesellschaften, etwa spartenleitenden Holdings, häufig aber auch als Organisationsform für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand. Besonderen Regelungen unterliegt die REIT-Aktiengesellschaft, für die das Gesetz über deutsche Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen (REIT-Gesetz – REITG) vom 28.5.2007 (BGBl I, 914) gilt. Abhängig vom Unternehmensgegenstand und ihrer tatsächlichen Tätigkeit können auch auf eine AG Regelungen des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) anwendbar sein.
b) Satzungsstrenge
Rz. 5
Rechtsformtypisch ist die Satzungsstrenge in der AG. Vom Aktiengesetz abweichende Regelungen kann die Satzung nur bei ausdrücklicher Zulassung im Gesetz, ergänzende Bestimmungen nur dort enthalten, wo das Gesetz keine abschließende Regelung vorsieht, § 23 Abs. 5 AktG. Die eingeschränkte Gestaltungsfreiheit macht die AG für den außenstehenden Aktionär transparent und erleichtert die Kapitalaufnahme. Die Praxis behilft sich mit unbedenklich zulässigen satzungsbegleitenden Nebenabreden, wie sie sich auch für die Gesellschafter der Gebrüder Meyer & Co. GmbH anbieten: Spätestens vor dem Börsengang werden sie die Belange der Familie – außerhalb der AG-Satzung – in einem Pool- oder Konsortialvertrag regeln.
c) Trias der Organe
Rz. 6
Die Aktiengesellschaft ist durch die Trias ihrer Organe Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand gekennzeichnet: Die Hauptversammlung versammelt die Aktionäre als die Anteilseigner und wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens; sie beschließt u.a. über Gewinnverwendung, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, Bestellung des Abschlussprüfers, Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen, Liquidation sowie alle sonstigen Grundlagenentscheidungen und bestellt die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat (Näheres siehe Rdn 101 ff.). Dem Aufsichtsrat obliegt die Überwachung des Vorstands, § 111 AktG; er bestellt die Mitglieder des Vorstands und beruft sie ab, § 84 AktG (siehe hierzu Rdn 74 ff.). Der Vorstand schließlich führt eigenverantwortlich die Geschäfte der AG, § 76, 77 AktG, und vertritt die Gesellschaft im Außenverhältnis, § 78 AktG (vgl. Rdn 78 ff.).
Rz. 7
Die zwingende Ausgestaltung der Organverfassung ist, nachdem die AG mitbestimmungsrechtlich der GmbH gleichgestellt ist, der entscheidende Grund für viele mittelständische Unternehmen, der GmbH gegenüber der AG den Vorzug zu geben (zur Rechtsformalternative der KGaA und der dort eröffneten Gestaltungsfreiheit vgl. Rdn 140 ff.), denn der AG-Vorstand leitet die Gesellschaft anders als der GmbH-Geschäftsführer frei von...