I. BGH Entscheidungen
Rz. 228
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen nunmehr deutlich dazu Stellung genommen, dass die anwaltliche Tätigkeit dem Widerrufsrecht aus Fernabsatzverträgen unterliegen kann, wenn der Rechtsanwalt einen Vertrag unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, also Telefon, E-Mail, Fax oder anderen Medien abschließt. Dabei spricht allein das Bereithalten von Fernkommunikationsmitteln wie Telefon, Fax, E-Mail allein noch nicht für den Abschluss eines Fernabsatzvertrages. Die Hürde ist dennoch nicht groß.
Rz. 229
Der Rechtsanwalt steht hier in der Beweislast, dass der Vertragsabschluss gerade nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist.
Kriterien, die dem Bundesgerichtshof aber ausreichen, um eine solche Organisation anzunehmen sind jedoch:
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deutschlandweite Tätigkeit in einem begrenzten Rechtsgebiet mit hohem Spezialisierungsgrad, |
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Vertreten von Mandanten aus allen Bundesländern, |
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bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland, |
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deutschlandweite Werbung im Internetauftritt. |
Rz. 230
Mit ein wenig Fantasie lassen sich weitere Merkmale finden, die ebenfalls für ein solches Vertriebssystem sprechen. Zu nennen wären hier:
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Nutzung von Formularen zur Vorprüfung der Erfolgsaussichten des Falles, wie Miethöherechner und der Eingabe nicht nur der Kontaktdaten, sondern auch mandatsbezogener Daten bei der Kontaktaufnahme, |
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Bewerbung eines Rückrufservices oder einer Telefonhotline für die Beratung, |
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Angebot der Zahlungsabwicklung direkt über die Webseite, |
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Angebot kostenpflichtiger Telefonnummern, |
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Hinterlegung von vorgefertigten Formularen mit Fallschilderung und Aufforderung zur Zusendung an die Kanzlei z.B. in Kfz-Werkstätten oder Mieterberatungsstellen. |
II. Vertragsabschluss im Fernabsatz
Rz. 231
Nicht darauf ankommen soll es, wie nach Vertragsabschluss die Leistung selbst erbracht werden soll. So kann auch die klassische Vertretung in einem gerichtlichen Verfahren mit Anwesenheit im Termin oder persönlicher Besprechung vor Ort durchaus im Rahmen eines Fernabsatzvertrages begründet worden sein.
Rz. 232
Abzustellen ist daher immer auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Dieser ist beim Anwaltsvertrag nicht immer leicht zu bestimmen. Zum einen besteht die Problematik der Vorprüfung.
Beispiel:
Der Mandant schickt dem Rechtsanwalt die Unterlagen zu und bittet ihn um Mitteilung, ob er dieses Mandat übernehmen möchte.
Im Rahmen der Vorprüfung erfolgen einige Besprechungen.
Im Ergebnis kommt der Anwalt zu dem Ergebnis, dass die Vertretung erfolgversprechend ist und lädt den Mandanten zum Mandatsgespräch in die Kanzlei ein, wo er sich dann Vollmacht, Datenschutzbelehrung und andere Unterlagen unterzeichnen lässt.
Isoliert betrachtet liegt schon in der Übersendung der Unterlagen zur Prüfung durch den Mandanten ein Angebot auf Vertragsabschluss, welches der Rechtsanwalt mit der Zusage der Mandatsübernahme annimmt. Damit ist der Vertrag bereits unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen. Auf die Formalitäten des Vertragsabschlusses wird es hier nicht ankommen.
Rz. 233
Interessant ist die Frage des Vertragsabschlusses auch im Lichte des § 44 S. 1 BRAO. Dieser verpflichtet den Anwalt, nach dem Angebot zur Mandatsübernahme seitens des Mandanten unverzüglich zu reagieren. Dennoch wird im Falle der verspäteten oder nicht erfolgten Reaktion kein Vertragsverhältnis statuiert. Bei § 44 BRAO handelt es sich eher um eine Ordnungsvorschrift des Berufsrechtes. Der Verstoß gegen diese Regel führt nicht zum Zustandekommen eines Vertrages, sondern vielmehr zum Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt. Folglich kann durch eben diese Nichtreaktion kein Fernabsatzvertrag konstruiert werden. Es liegt schlicht noch kein Vertrag vor.
III. Konsequenzen für die anwaltliche Praxis
Rz. 234
Diese Rechtslage muss nun auch bei der täglichen Praxis des Vertragsabschlusses Beachtung finden. Für den Vertragsabschluss, der ausschließlich im Büro des Anwalts stattfindet, gibt es dabei nichts zu beachten.
Sobald die Vertragsanbahnung über ein Fernkommunikationsmittel erfolgt, ist besondere Aufmerksamkeit geboten. Es gibt hier mehrere Verhaltensmuster zur Bewältigung dieser Situation.
1. Konsequente Vermeidung des Abschlusses von Verträgen mittels Fernkommunikationsmitteln
Rz. 235
Der Anwalt könnte zur Vermeidung des Widerrufsrechtes konsequent vermeiden, Verträge außerhalb einer Besprechung in seinem Büro abzuschließen. Die im Büro abgeschlossenen Verträge wären zu dokumentieren. Schon die Annahme von Unterlagen oder vage Äußerungen über die Erfolgsaussichten wären konsequent zu unterlassen. Kommt es dennoch ausnahmsweise zu einem Vertragsabschluss über Fernkommunikationsmittel, so sind Beweise zu sichern, dass der übliche Vertragsabschluss eben auf die "traditionelle" Weise erfolgt.
2. Risikoprüfung bei Vertragsabschluss
Rz. 236
Schwieriger wird die regelmäßige Prüfung d...