Rz. 32

Als Ausfluss der Testierfreiheit steht es dem Erblasser grundsätzlich frei, die Nachfolge in seinem Nachlass weitgehend nach Gutdünken und freiem Ermessen durch Verfügung von Todes wegen zu regeln.[22] Die Testierfreiheit umfasst auch das Recht, seine engsten Verwandten zu enterben. Allerdings sieht das Gesetz in den §§ 2303 ff. BGB für bestimmte Personenkreise (Abkömmlinge, Ehegatten, Eltern) eine Mindestteilhabe am Nachlass vor, den sog. Pflichtteil. Die Testierfreiheit ist durch die verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts gem. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt und hat Vorrang vor dem Prinzip der Familienerbfolge. Die §§ 2303 ff. BGB schaffen einen Ausgleich zwischen Familienerbrecht und Testierfreiheit. Einige Länder kennen kein Pflichtteilsrecht (bspw. Teile der USA). Immer wieder steht das Pflichtteilsrecht auch in Deutschland auf dem Prüfstand der Verfassungsmäßigkeit. Im Jahr 2005 hat das Bundesverfassungsgericht aber ausdrücklich festgestellt, dass das Pflichtteilsrecht verfassungsgemäß ist.[23] Im Wesentlichen hat das Bundesverfassungsgericht folgende Kernaussagen getroffen:

Das Pflichtteilsrecht hat die Funktion, die Fortsetzung des ideellen und wirtschaftlichen Zusammenhangs des Vermögens – unabhängig von einem konkreten Bedarf des Kindes – über den Tod des Vermögensinhabers hinaus zu ermöglichen.
Der den Kindern gewährte Mindestanteil am Nachlass (Pflichtteil) lässt andererseits dem Erblasser einen hinreichend großen Freiraum, um seine Vorstellungen über die Verteilung seines Vermögens nach dem Tod umzusetzen.
Das Pflichtteilsrecht ist grundsätzlich dazu geeignet und erforderlich, um die Kinder des Erblassers davor zu schützen, dass sich die Familienbeziehungen überhaupt nicht oder nur unzulänglich in der Verteilung des Nachlasses widerspiegeln.
 

Rz. 33

Regelmäßig will der Erblasser den Erben die mit dem Pflichtteilsverlangen verbundenen Unannehmlichkeiten ersparen. Hierbei ist festzustellen, dass für den Erblasser, bei dem bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge der gesamte Nachlass Pflichtteilsberechtigten zufallen würde, lediglich die Hälfte des Nachlasses frei disponibel ist.[24]

 

Rz. 34

Um zu verhindern, dass der Erblasser das Pflichtteilsrecht nicht zu Lebzeiten vollständig aushebeln kann, sieht das Gesetz den sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch vor. Dieser Anspruch erweitert sozusagen den Pflichtteilsanspruch auf alle Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten (innerhalb von 10 Jahren vor seinen Tod). Bei Schenkungen unter Ehegatten beginnt die Zehnjahresfrist nicht vor Auflösung der Ehe (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB; siehe § 3 Rdn 72 ff.). § 2325 Abs. 3 BGB a.F. enthielt eine starre Zehnjahresfrist. Dies führte dazu, dass die Schenkung entweder voll oder gar nicht berücksichtigt wurde. Die Regelung konnte daher zu unbilligen Zufallsergebnissen führen und wurde daher zu Recht erheblich kritisiert. Im Rahmen der Erbrechtsreform 2009 erklärte der Gesetzgeber endlich seine Abkehr von der starren Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB a.F. § 2325 Abs. 3 BGB sieht nun vor, dass eine Schenkung für die Berechnung der Pflichtteilsergänzung umso weniger Berücksichtigung findet, je länger sie zurückliegt. Nur eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall wird noch voll in die Berechnung des Nachlasses einbezogen. Für jedes weitere Jahr, das die Schenkung zurückliegt, werden 10 % vom Wert der Schenkung abgezogen ("Pro-rata-temporis-Lösung"). Nach 10 Jahren findet überhaupt keine Berücksichtigung der Schenkung bei der Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche mehr statt. Bei Grundstücksübertragungen beginnt die Frist grundsätzlich mit der Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch (§ 873 Abs. 1 BGB),[25] nicht etwa bereits mit dem Erwerb einer Anwartschaft. Besonderheiten gelten aber, wenn das Grundstück unter Vorbehalt eines Nießbrauchs oder eines Wohnrechts übertragen wurde. Nach Ansicht des BGH[26] kann eine den Fristbeginn auslösende Leistung i.S.d § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB nur dann vorliegen, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand weiterhin im Wesentlichen zu nutzen, sei es aufgrund des Vorbehalts dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche (sog. "Genussverzichtsrechtsprechung"). Beim sog. Vorbehaltsnießbrauch gibt der Erblasser den Genuss des verschenkten Gegenstandes aber gerade nicht auf. Eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB des verschenkten Gegenstandes liegt daher trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vor.

 

Rz. 35

Bei Vorbehalt eines Wohnungsrechts war lange Zeit umstritten, ob und bei welcher Gestaltung die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB zu laufen beginnt. Höchstrichterliche Rechtsprechung fehlte hierzu. Dann hat der BGH allerdings mit Urt. v. 29.6.2016 eine Aussage zu dem Problemkreis getroffen.[27] Der BGH hat festgestellt, dass in Ausnahmefällen die Frist mit Schenkungsvollzug bei Wohnrechtsvorbehalt nicht beginnt. Es kommt allerdings sehr au...

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