Florian Enzensberger, Maximilian Maar
I. Allgemeines
Rz. 58
Im Nachgang zu der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen stellt sich die Frage, ob auch Verfügungen von Todes wegen sowie Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge anhand von verfassungsrechtlichen Vorgaben einer intensiven inhaltlichen Überprüfung unterzogen werden müssen. Es ist davon auszugehen, dass auch Testamentsklauseln zunehmend auf ihre verfassungsrechtliche und auch europarechtliche Zulässigkeit überprüft werden. So musste sich der europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Auslegung einer Testamentsklausel befassen, wobei es um die erbrechtliche Diskriminierung eines adoptierten Kindes ging.
Im Hinblick auf das Thema "Testamente für Geschiedene und Patchworkehen" seien an dieser Stelle nur zwei Problemkreise dargestellt, die im Rahmen von Geschiedenentestamenten und Testamenten für Patchworkehen relevant sein können:
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Grenzen von Potestativbedingungen und Verwirkungsklauseln |
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Pflichtteilsstrafklauseln. |
II. Grenzen von Potestativbedingungen und Verwirkungsklauseln
Rz. 59
Die sog. Preußen-Entscheidung des BVerfG vom 22.3.2004 brachte umfassende Auswirkungen auf die Testamentsgestaltung mit sich, wenn auch weniger unmittelbar als mittelbar.
Der BGH hatte in dem der BVerfG-Entscheidung vorausgegangenen Beschl. v. 2.12.1998 entschieden, dass eine Erbenbürtigkeitsklausel, welche zwar grundsätzlich geeignet ist, die grundrechtlich geschützte Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG) der Abkömmlinge des Erblassers zu beeinträchtigen und die Abkömmlinge unter Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung nach Abstammung und Herkunft (Art. 3 Abs. 3GG) zu benachteiligen, jedenfalls dann nicht sittenwidrig und unwirksam ist, wenn die letztwillige Verfügung nicht auf die Beeinträchtigung dieser Grundrechte gerichtet ist, sondern der Erblasser andere, von der Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) gedeckte, mit dem Nachlass sachlich zusammenhängende Ziele verfolgt. Das BVerfG hat in seinem Beschluss im Wesentlichen nicht die Verfassungswidrigkeit der Ebenbürtigkeitsklausel beanstandet als vielmehr die verfassungsrechtliche Überprüfung und Abwägung des BGH. Nach dem BVerfG sei abzuwägen, ob der Ebenbürtigkeitsbegriff auch nach der Abschaffung der Monarchie noch geeignet ist, einen Eingriff in die Eheschließungsfreiheit des Erbprätendenten zu rechtfertigen, und ob eine wesentliche Rechtfertigungsgrundlage für einen solche bedingte Erbeinsetzung weggefallen ist.
Durch diese Entscheidung ergaben sich daher mittelbar erhebliche Auswirkungen auf alle Potestativbedingungen und Verwirkungsklauseln in Verfügungen von Todes wegen.
Grundsätzlich sind Potestativbedingungen zulässig. Dies ergibt sich aus § 2075 BGB, der eine Ergänzungsregelung für den Fall einer Zuwendung unter der Voraussetzung enthält, dass der Bedachte während eines bestimmten Zeitraums etwas unterlässt oder fortgesetzt tut, und das Unterlassen oder das Tun lediglich in der Willkür des Bedachten liegt. Außerdem ergibt sich die Zulässigkeit ganz allgemein aus der Testierfreiheit, wonach der Erblasser befugt ist, die Bedingungen des Erwerbs und des Rechts, die Erbschaft behalten zu dürfen, frei in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB festzusetzen. Allerdings sind die Grenzen einer unzulässigen Einflussnahme auf die Entscheidungsfreiheit des Bedachten oft nur schwer zu ziehen.
Klar und eindeutig sind allein die Fälle der Sittenwidrigkeit oder Gesetzeswidrigkeit. Derartige Klauseln sind immer unzulässig.
Rz. 60
Nach der "Preußen-Entscheidung" des BVerfG vom 22.3.2004 sind die Grenzen der Potestativbedingungen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu bestimmen. Insbesondere ist darauf abzustellen, ob durch die gesetzte Bedingung ein unzumutbarer Druck auf den Bedachten erzeugt wird. Hierbei sind auch die betroffenen Grundrechtspositionen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. In der "Preußen-Entscheidung" wägt dann auch das BVerfG die Testierfreiheit gegen die Eheschließungsfreiheit des als Nacherben Bedachten ab. Die Kritik des BVerfG gegen den BGH zielt darauf ab, dass der BGH nicht in ausreichendem Maße geprüft habe, ob die Ebenbürtigkeitsklausel geeignet war, auf den Beschwerdeführer einen für diesen unzumutbaren Druck bei der Eingehung der Ehe auszuüben.
Rz. 61
Es drängt sich natürlich die Frage auf, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit maßgebend sein soll, dies gerade unter Berücksichtigung des ständigen Wandels der Werte und sittlichen Maßstäbe. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH sollen die tatsächlichen Verhältnisse und Umstände im Errichtungszeitpunkt maßgebend sein. In der Literatur wird überwiegend auf den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt. Dies ...