Prof. Dr. iur. Michael Sattler, Christina Brammen
Rz. 9
1.
Bereits vor Einleitung des Klageverfahrens (aktiv) bzw. während des erstinstanzlichen Verfahrens sollte der Mandant darüber informiert werden, dass er es nur begrenzt in der Hand hat, auf die Berufung zu verzichten. Verbreitet herrscht nämlich die Vorstellung, jede Partei könne jederzeit entscheiden, ob sie das Verfahren fortsetzen möchte oder nicht. Jedenfalls dann, wenn die Gegenseite ganz oder teilweise unterlegen ist, kann diese meistens Berufung einlegen, ohne dass der Mandant das verhindern kann. Natürlich könnte er die Klage zurücknehmen oder den Klageanspruch anerkennen, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist. Das macht aber nahezu keinen Sinn, wenn er ganz oder teilweise obsiegt hat.
Für den Mandanten kann dies zu der überraschenden Entwicklung führen, dass er in der ersten Instanz obsiegt und in der zweiten unterliegt und deshalb die Kosten des gesamten Verfahrens tragen muss. Dass dies kein abwegiges Szenario darstellt, sollte dem Mandanten vermittelt werden.
Rz. 10
2.
Die selbstständige Berufung hat aufgrund der fehlenden Akzessorietät gegenüber der Anschlussberufung nur – taktische – Vorteile, ohne dass damit Mehrkosten einhergehen und ist daher regelmäßig vorzugswürdig. Beschränkt man sich nämlich auf die Anschlussberufung, hat es die Gegenpartei in der Hand, durch bloße Rücknahme der eigenen Berufung denjenigen Zustand herzustellen, der nach dem erstinstanzlichen Urteil bestand. Nicht zuletzt für Vergleichsgespräche, die in Berufungsverhandlungen oft breiten Raum einnehmen, ist es generell besser, selbstständig Berufung eingelegt zu haben.
Rz. 11
3.
Während erstinstanzlich nur wenige Urteile maßgeblich durch die Präklusionsvorschriften bestimmt werden, werden diese von den Berufungsgerichten häufiger angewandt. Neuer Vortrag ist gem. § 531 ZPO nur in engen Grenzen zulässig.
Rz. 12
4.
Das Berufungsgericht hat grundsätzlich die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Deren Umfang ergibt sich aus dem unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils, was dem Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 320 ZPO), der innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung gestellt werden muss, die wesentliche Bedeutung verleiht. Ist diese Frist bereits verstrichen, kann man versuchen, über § 319 ZPO eine Urteilsberichtigung zu erreichen, da die Grenze zwischen beiden Vorschriften nicht immer eindeutig zu bestimmen ist.