Rz. 74
Auch nach der Neufassung des § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO darf der Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten
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bereits in derselben Rechtssache |
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im widerstreitenden Interesse |
beraten oder vertreten hat.
Das Tatbestandsmerkmal des Bezugs auf dieselbe Rechtssache war bis zur Gesetzesreform lediglich in § 3 BORA genannt und wurde nunmehr auch in den Gesetzestext des § 43a Abs. 4 BRAO übernommen. Gemeint ist jeder Lebenssachverhalt, der angesichts der ihn begründenden historischen Tatsachen oder der an ihm beteiligten Personen ganz oder in Teilen nur einer einheitlichen juristischen Betrachtung zugeführt werden kann. Zwei Mandate decken sich grundsätzlich in sachlicher Hinsicht, wenn sie jeweils ein verklammerndes Element (z.B. eine Ehe oder einen Erbfall) beinhalten, das in beiden Mandaten von rechtlicher Bedeutung ist.
Rz. 75
Mit Interessen sind die Ziele angesprochen, die der Mandant unter Einschaltung des Rechtsanwalts verfolgt, wobei nur "rechtlich relevante Interessen" beachtlich sein sollen. Ein Interessengegensatz bzw. Widerstreit von Interessen ist gegeben, wenn sich die verschiedenen Standpunkte nicht gleichzeitig optimieren lassen, wenn also die Verwirklichung des einen Interesses unmittelbar zulasten des anderen geht. Kontrovers diskutiert wird, ob die rein subjektive Sicht des Mandanten maßgebliches Beurteilungskriterium ist oder ein objektiver Bewertungsmaßstab. Jedenfalls muss bei der Beurteilung der Interessen die konkrete Einschätzung des Mandanten eine besondere Berücksichtigung finden. Auch der BGH legt in einer Entscheidung vom 21.11.2018 einen subjektiven Maßstab an:
Zitat
"Pflichtwidrig dient ein Anwalt in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand, wenn und soweit zwischen ihnen widerstreitende Interessen bestehen; dabei beurteilen sich die anvertrauten Interessen nach dem Inhalt des dem Anwalt erteilten Auftrags, der maßgeblich vom Willen der Partei gestaltet wird."
Diese Auffassung ist überzeugend. Was in seinem Interesse ist, bestimmt allein der Mandant, maßgeblich ist dessen subjektive Zielsetzung (selbst wenn er unvernünftige Interessen verfolgt). Hieraus folgt, dass ein Mandat durch die Beteiligten auch so eingegrenzt werden kann, dass etwaige Interessensgegensätze "ausgespart" werden (eingegrenzter Auftrag).
Praxishinweis
Lassen sich die Interessen der Beteiligten so vereinen, dass eine einheitliche Zielsetzung verfolgt wird, kann auf eine entsprechende Auftragserteilung hingewirkt werden, in der die Mandanten dies ausdrücklich bestätigen.
Rz. 76
Die Regelung verbietet es dem Rechtsanwalt also nicht schlechthin, mehrere Mandanten in derselben Rechtssache zu vertreten. Ist das Mandat auf die Wahrnehmung gleichgerichteter Interessen der Mandanten begrenzt, was, z.B. auch bei der Inanspruchnahme mehrerer Gesamtschuldner häufig der Fall ist, darf der Anwalt alle Gesamtschuldner vertreten, wenn ihr gemeinsames Interesse im konkreten Verfahren ausschließlich auf die Abwehr des Anspruchs gerichtet ist.
Abzustellen ist immer auf einen konkreten – also aktuell vorhandenen – Interessenwiderstreit. Die latent vorhandene Möglichkeit, dass Interessen im Laufe des Mandats in einen Gegensatz geraten, genügt nicht. Problematisch ist insoweit aber, dass der Anwalt gem. § 3 Abs. 2 BORA seine Mandanten informieren und alle Mandate in derselben Rechtssache beenden muss, wenn ein solcher Fall später zutage tritt. Der Anwaltsvertrag wird wegen des Vertretungsverbots nach § 134 BGB nichtig und der Anwalt verliert seinen Vergütungsanspruch; jedenfalls für Anwaltsleistungen, die nach der Vertretung widerstreitender Interessen erbracht wurden (§ 628 Abs. 1 S. 2 BGB). Daher ist auch im Falle einer nur latenten Gefahr des Interessenwiderstreits von einer Vertretung mehrerer Mandanten abzuraten.