Rz. 72
Bei Annahme aber auch während der Bearbeitung des Mandats ist vom Rechtsanwalt genau zu prüfen, inwieweit sich für ihn ein Tätigkeitsverbot aufgrund Vorbefassung ergibt oder er aufgrund Interessenkollision zur Ablehnung und Niederlegung des Mandats verpflichtet ist. Gerade bei erbrechtlichen Mandaten ist die Prüfung veranlasst, inwieweit der Rechtsanwalt bereits in "derselben Rechtssache" tätig war, oder bei der Vertretung mehrerer Mandanten sich widerstreitende Interessen ergeben.
1. Tätigkeitsverbot nach § 45 BRAO
Rz. 73
Aus § 45 BRAO ergibt sich, in welchen Fällen der Rechtsanwalt nicht bzgl. der Bearbeitung des Mandats tätig sein darf. Besondere Erwähnung verdienen hier die Fälle, in denen der Rechtsanwalt vorher als Schiedsrichter, Notar, Insolvenz- oder Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion bereits befasst war, § 45 Abs. 1 BRAO. Im umgekehrten Fall ist ihm eine Tätigkeit in Angelegenheiten als Insolvenz- oder Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion versagt, mit denen er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war. Ausdrücklich hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die Vorbefassung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Testamentsgestaltung gerade nicht ausschließt, dass er in diesem Testament dann vom Erblasser als Testamentsvollstrecker ernannt wird. Ein an der Beurkundung eines Testaments beteiligter Notar kann dagegen nicht wirksam in dieser Urkunde zum Testamentsvollstrecker ernannt werden, §§ 27, 7 BeurkG.
2. Interessenkollision nach § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO
Rz. 74
Auch nach der Neufassung des § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO darf der Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten
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bereits in derselben Rechtssache |
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im widerstreitenden Interesse |
beraten oder vertreten hat.
Das Tatbestandsmerkmal des Bezugs auf dieselbe Rechtssache war bis zur Gesetzesreform lediglich in § 3 BORA genannt und wurde nunmehr auch in den Gesetzestext des § 43a Abs. 4 BRAO übernommen. Gemeint ist jeder Lebenssachverhalt, der angesichts der ihn begründenden historischen Tatsachen oder der an ihm beteiligten Personen ganz oder in Teilen nur einer einheitlichen juristischen Betrachtung zugeführt werden kann. Zwei Mandate decken sich grundsätzlich in sachlicher Hinsicht, wenn sie jeweils ein verklammerndes Element (z.B. eine Ehe oder einen Erbfall) beinhalten, das in beiden Mandaten von rechtlicher Bedeutung ist.
Rz. 75
Mit Interessen sind die Ziele angesprochen, die der Mandant unter Einschaltung des Rechtsanwalts verfolgt, wobei nur "rechtlich relevante Interessen" beachtlich sein sollen. Ein Interessengegensatz bzw. Widerstreit von Interessen ist gegeben, wenn sich die verschiedenen Standpunkte nicht gleichzeitig optimieren lassen, wenn also die Verwirklichung des einen Interesses unmittelbar zulasten des anderen geht. Kontrovers diskutiert wird, ob die rein subjektive Sicht des Mandanten maßgebliches Beurteilungskriterium ist oder ein objektiver Bewertungsmaßstab. Jedenfalls muss bei der Beurteilung der Interessen die konkrete Einschätzung des Mandanten eine besondere Berücksichtigung finden. Auch der BGH legt in einer Entscheidung vom 21.11.2018 einen subjektiven Maßstab an:
Zitat
"Pflichtwidrig dient ein Anwalt in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand, wenn und soweit zwischen ihnen widerstreitende Interessen bestehen; dabei beurteilen sich die anvertrauten Interessen nach dem Inhalt des dem Anwalt erteilten Auftrags, der maßgeblich vom Willen der Partei gestaltet wird."
Diese Auffassung ist überzeugend. Was in seinem Interesse ist, bestimmt allein der Mandant, maßgeblich ist dessen subjektive Zielsetzung (selbst wenn er unvernünftige Interessen verfolgt). Hieraus folgt, dass ein Mandat durch die Beteiligten auch so eingegrenzt werden kann, dass etwaige Interessensgegensätze "ausgespart" werden (eingegrenzter Auftrag).
Praxishinweis
Lassen sich die Interessen der Beteiligten so vereinen, dass eine einheitliche Zielsetzung verfolgt wird, kann auf eine entsprechende Auftragserteilung hingewirkt werden, in der die Mandanten dies ausdrücklich bestätigen.
Rz. 76
Die Regelung verbietet es dem Rechtsanwalt also nicht schlechthin, mehrere Mandanten in derselben Rechtssache zu vertreten. Ist das Mandat auf die Wahrnehmung gleichgerichteter Interessen der Mandanten begrenzt, was, z.B. auch bei der Inanspruchnahme mehrerer Gesamtschuldner häufig der Fall ist, darf der Anwalt alle Gesamtschuldner vertreten, wenn ihr gemeinsames Interesse im konkreten Verfahren ausschließlich auf die Abwehr des Anspruchs gerichtet ist.
Abzustellen ist immer auf einen konkreten ...