Rz. 210
Einen gesetzlich normierten Sonderfall des Verschuldens bei Vertragsschluss sowie des Anspruchs aus §§ 675 Abs. 1, 663 BGB enthält § 44 Satz 2 BRAO. Nach § 44 Satz 1 BRAO muss ein Rechtsanwalt, der in seinem Beruf in Anspruch genommen wird und den Auftrag nicht annehmen will, die Ablehnung unverzüglich erklären. Wenn der Rechtsanwalt diese Erklärung schuldhaft verzögert, ist er gem. § 44 Satz 2 BRAO verpflichtet, dem Anfragenden den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Der Rechtsanwalt hat das grundsätzliche Recht, Mandanten oder angetragene Mandate abzulehnen, gleichwohl muss ein Rechtsanwalt im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege für Gerichte, Behörden und Rechtsuchende gleichermaßen erreichbar sein.
a) Angebot zum Abschluss eines Anwaltsvertrages
Rz. 211
§ 44 Satz 2 BRAO setzt voraus, dass der Rechtsanwalt "in seinem Beruf in Anspruch genommen wird". Dies bedeutet, dass dem Rechtsanwalt ein Angebot zum Abschluss eines Anwaltsvertrages zugegangen sein muss. Dies ist nicht der Fall, wenn dem Rechtsanwalt eine bloße Gefälligkeit (vgl. Rdn 28 ff.) oder eine anwaltsfremde Tätigkeit (vgl. Rdn 161 ff.) angetragen wird.
b) Zugang
Rz. 212
Ein Antrag auf Übernahme eines Mandats geht einem Rechtsanwalt zu, wenn der Antrag in dessen Kanzlei in einer Weise eingeht, dass der Rechtsanwalt selbst oder sein Vertreter hiervon bei normalen Verhältnissen Kenntnis nehmen kann und diese Kenntnisnahme nach der Verkehrsauffassung zu erwarten ist. Nimmt der Rechtsanwalt von dem Antrag früher Kenntnis, geht ihm der Antrag bereits zu diesem Zeitpunkt zu.
Rz. 213
Nach der Verkehrsauffassung soll von einem Rechtsanwalt zu erwarten sein, dass ihm ein eingehender Antrag noch am selben Tag, spätestens jedoch am Folgetag vorgelegt wird und somit zugeht. Der BGH hat zu §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO entschieden, dass ein Rechtsanwalt die gebotene Sorgfalt verletzt, wenn er nicht dafür Sorge trägt, dass alle Eingänge durch einen verantwortlichen Juristen darauf geprüft werden, ob etwas zu veranlassen, insb. ob eine fristwahrende (Prozess-)Handlung vorzunehmen ist. Ein Rechtsanwalt müsse anordnen, dass zumindest alle Posteingänge, die nicht eindeutig in den ausschließlichen Bearbeitungskreis des Bürovorstehers fallen, am Tag ihres Eingangs ihm oder seinem Vertreter vorzulegen seien.
c) Keine Annahmeerklärung durch den Rechtsanwalt
Rz. 214
Ein Schadensersatzanspruch nach § 44 Satz 2 BRAO setzt des Weiteren voraus, dass ein Anwaltsvertrag noch nicht – auch nicht etwa stillschweigend (vgl. Rdn 15 ff.) – zustande gekommen ist. Vielmehr muss der Rechtsanwalt dem Anfragenden mitgeteilt haben, dass er dessen Angebot zum Abschluss eines Anwaltsvertrages nicht annimmt. Eine Haftung nach § 44 Satz 2 BRAO kommt auch dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt auf eine Anfrage, die auf den Abschluss eines Anwaltsvertrags gerichtet ist, gar nicht reagiert.
d) Schuldhafte Verzögerung der Ablehnungserklärung
Rz. 215
Ein Rechtsanwalt muss die Erklärung, dass er ein ihm angetragenes Mandat ablehnt, unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern abgeben. Nach dem Zugang eines Antrags auf Übernahme eines Mandats hat der Rechtsanwalt unverzüglich zu prüfen und zu entscheiden, ob er gem. §§ 43a Abs. 4, 45, 46 BRAO verhindert ist bzw. ob er das angetragene Mandat aus einem anderen Grund nicht übernehmen kann oder möchte. Diese Prüfung muss der Rechtsanwalt selbst vornehmen. Er darf sie allenfalls auf einen anwaltlichen Vertreter delegieren, nicht jedoch auf das Büropersonal. Ob der Rechtsanwalt die Ablehnung eines Mandats unverzüglich erklärt hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Rz. 216
I.d.R. soll er eine Anfrage noch am selben Tag oder zumindest am Folgetag zu überprüfen haben. In einfacheren Fällen wird vom Rechtsanwalt erwartet, umgehend eine Entscheidung zu treffen. In schwierigeren Fällen soll dem Rechtsanwalt eine Bedenk- oder Prüfungszeit bis zu mehreren Tagen einzuräumen sein. In Sozietäten kann es einer Abstimmung desjenigen Rechtsanwalts, dem der Antrag auf Übernahme eines Mandats zugegangen ist, mit den anderen Sozien bedürfen.
Das RG hat darauf hingewiesen, dass von einem Rechtsanwalt nicht erwartet werden könne, Schreiben, die äußerlich nicht als eilig erkennbar seien, unter allen Umständen in kürzester Zeit zu bearbeiten. Es sei zu berücksichtigen, dass der Rechtsanwalt auch noch andere Geschäfte zu besorgen und auch Anspruch auf angemessene Ruhepausen habe. Wenn dem Rechtsanwalt die Eilbedürftigkeit erkennbar ist, etwa weil der Anfragende hierauf ausdrücklich hingewiesen hat, ist eine raschere Prüfung und Entscheidung als im Normalfall geboten.
Rz. 217
Der BGH hat zu einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeführt, dass ein Rechtsanwalt sich nicht von der Pflicht b...