Rz. 224
Eine Offenbarungspflicht besteht, wenn der Rechtsanwalt während des Mandatsverhältnisses in einer anderen Sache einen Dritten gegen den Mandanten vertritt, weil der Mandant i.d.R. darauf vertraut, dass der von ihm beauftragte Anwalt nur seine Interessen und nicht auch gleichzeitig die Interessen Dritter gegen ihn wahrnimmt. Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt jedoch auch offenzulegen, dass er oder ein anderes Mitglied seiner Sozietät den Gegner der Person, welche ihm ein neues Mandat anträgt, häufig in Rechtsangelegenheiten vertritt, und zwar unabhängig davon, ob ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang zu dem neuen Mandat besteht. Aus der Sicht anderer Mandanten kann fraglich sein, ob die entgegengesetzten eigenen Interessen mit gleichem Nachdruck vertreten werden wie ggü. einem dem Anwalt völlig gleichgültigen Gegner. Häufige Aufträge derselben Partei können zu wirtschaftlicher Abhängigkeit oder zu einer besonderen Identifizierung mit deren Angelegenheiten führen und die Fähigkeit des Anwalts, sich in der gebotenen umfassenden, nur den Interessen des Auftraggebers verpflichteten Art und Weise für einen Gegner der Partei einzusetzen, beeinträchtigen. Ob der Anwalt selbst sich in der Lage sieht, die ihm aus einem Anwaltsvertrag obliegenden Pflichten trotz der Mandatsbeziehungen zum Gegner uneingeschränkt zu erfüllen, ist dabei nicht von ausschlaggebender Bedeutung.
Ist der Anwalt von Anfang an nicht bereit, den Mandanten auch gerichtlich ggü. dem Gegner zu vertreten, so hat er dies ungefragt zu offenbaren. Der Mandant kann regelmäßig davon ausgehen, dass der Anwalt, der ihn berät und außergerichtlich vertritt, auch eine Klage oder eine Klageerwiderung für ihn fertigt, einreicht und in der mündlichen Verhandlung für ihn auftritt. Ein Rechtsanwalt, der ein ihm angebotenes Mandat nur eingeschränkt übernehmen kann (§ 78 ZPO) oder will, muss deshalb seine Vorbehalte offenlegen, damit der Mandant entscheiden kann, ob er den Auftrag selbst unter diesen Voraussetzungen erteilen will. Grund der Hinweispflicht ist auch in diesem Zusammenhang die Abweichung des Vertragsinhalts vom Leitbild des den Interessen des Mandanten unabhängig von denjenigen des Gegners verpflichteten Rechtsanwalts. Hinzu kommen noch die gebührenrechtlichen Folgen eines eingeschränkten Mandats, die zusätzliche Kosten für den Mandanten bedeuten.
Zur Frage der Eindeutigkeit der Offenbarung einer Interessenkollision hat der BGH entschieden: Hat sich ein Rechtsanwalt im Verkehrsunfallprozess unter Beteiligung von drei Kraftfahrzeugen zunächst für zwei beklagte Kraftfahrzeughalter gemeldet, die zufällig bei der gleichen Kfz-Haftpflichtversicherung versichert sind, und teilt er später mit, wegen einer drohenden Interessenkollision nur noch einen der Beklagten vertreten zu können, und weist er zusätzlich auf die Identität des drittbeklagten Kfz-Haftpflichtversicherers hin, ist dies eindeutig. Damit kann er nicht gleichzeitig weiterhin den drittbeklagten Kfz-Haftpflichtversicherer vertreten mit der Folge, dass die diesen betreffende Zustellung des Urteils die Berufungsfrist für den Kfz-Haftpflichtversicherer nicht in Lauf setzen kann.