Rz. 48
Trotz grundsätzlicher Vertragsfreiheit gibt es eine Reihe von Tatbeständen, die dem Rechtsanwalt im Interesse der Sicherung seiner Unabhängigkeit und der Wahrung seiner Integrität die Übernahme eines Mandats verbieten.
a) Berufsrechtliche Verbote
Rz. 49
Gem. § 43a Abs. 4 BRAO darf der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Diese eindeutige Regelung kann bei der Anwendung im Einzelfall durchaus Schwierigkeiten bereiten. Selbst wenn sich die Interessen der Mandanten teilweise widersprechen, kann ein Anwalt sie gemeinsam vertreten, soweit und solange das Mandat auf die Wahrnehmung solcher Interessen begrenzt ist, die sie gemeinsam verfolgen. Interessengegensätze sind nicht in allen Fällen sogleich klar erkennbar. Sobald der Rechtsberater erkennt, dass ein Verstoß gegen ein berufsrechtliches Tätigkeitsverbot vorliegt, hat er das Mandat, bei einer Interessenkollision beide Mandate niederzulegen, dabei allerdings Nachteile für den/die Mandanten zu vermeiden. Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen greift auch, wenn es um eine Kollision mit eigenen Interessen des Rechtsanwalts geht. So müsste er etwa ein Mandat niederlegen, wollte er als Streitverkünder auf Seiten der Gegenpartei beitreten.
Problematisch ist auch die Reichweite dieses Verbots beim Sozietätswechsel. Eine generelle Erstreckung des § 43a Abs. 4 BRAO auf den Sozietätswechsel ist nicht möglich. Eine Pflicht der aufnehmenden Sozietät, alle Mandate niederzulegen, bei denen die frühere Sozietät des neuen Kollegen auf der Gegenseite stand, ist mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Sozietätswechsler mit der den Konflikt begründenden Sache nicht befasst war und die vom Sozietätswechsel betroffenen Mandanten beider Seiten das Vertragsverhältnis zu ihren jeweiligen Rechtsanwälten nicht als gestört ansehen und mit einer Fortführung der eigenen und der gegnerischen Mandate einverstanden sind. In der Folge wurde versucht, § 3 Abs. 2 BORA an die verfassungsgerichtlichen Vorgaben anzupassen.
Rz. 50
Soweit in der Rechtsprechung des BGH noch offen war, ob ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages nach § 134 BGB führt, ist diese Frage seit dem Jahr 2016 geklärt. Der BGH hat seither mehrmals entschieden, dass ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages nach § 134 BGB führt. Der verbotswidrig geschlossene Vertrag ist nichtig und begründet auch dann keine Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts, wenn sich die Beratung nicht im Nachhinein als wertlos erweist und gebührenpflichtig von einem neuen Anwalt wiederholt werden muss. Allerdings verstößt ein Anwaltsvertrag noch nicht allein deshalb gegen das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, weil der Anwalt im Gebühreninteresse für den Mandanten nachteilige Maßnahmen treffen könnte.
Dagegen verstößt ein Rechtsanwalt mit der Vertretung mehrerer Gesamtschuldner gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, wenn das Mandat nicht auf die Abwehr des Anspruchs im gemeinsamen Interesse der Gesamtschuldner beschränkt ist und nach den konkreten Umständen des Falles ein Interessenkonflikt tatsächlich auftritt. Ein zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags führender Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen liegt in der Regel auch vor, wenn der Rechtsanwalt in dem zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmer wegen eines Schadensfalls geführten selbstständigen Beweisverfahren das unbeschränkte Mandat zur Vertretung mehrerer als Streithelfer beigetretener Sonderfachleute übernimmt, die teils mit der Planung, teils mit der Bauüberwachung beauftragt wurden. Ist ein Anwaltsvertrag nichtig, weil der Rechtsanwalt mit dem Abschluss des Vertrags gegen das Verbot verstoßen hat, widerstreitende Interessen zu vertreten, ist auch ein Bereicherungsanspruch für Leistungen des Rechtsanwalts ausgeschlossen, wenn der Anwalt vorsätzlich gegen das Verbot verstoßen oder sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen hat.
Erfolgt ein Verstoß allerdings erst zu einem Zeitpunkt, in dem der Rechtsanwalt die das Mandatsverhältnis prägenden Dienstleistungen bereits erbracht hat, tritt grds. keine rückwirkende Nichtigkeit des Anwaltsvertrags ein, da mit dem Wegfall der vertraglichen Grundlage den Belangen des Mandanten nicht gedient wäre. Es kann im Gegenteil in dessen Interesse liegen, dass diese vertragliche Grundlage – etwa im Hinblick auf Schadensersatzansprüche wegen Schlechtleistung – erhalten bleibt. Überdies untersagt das Verbot widerstreitender Interessen dem Rechtsanwalt nicht bereits den Abschluss eines Anwaltsvertrags, sondern ein Tätigwerden in widerstreitenden Angelegenheiten.
Festzuhalten ist auch nach der Entscheidung zur Nichtigkeitsfolge eines Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO, dass der Verstoß des Rechtsanwalts auch weiterhin...