Rz. 4
Eine vertragliche Schadensersatzverpflichtung des Rechtsanwalts setzt schon begrifflich einen Vertrag mit dem Auftraggeber ("Mandanten") voraus. Zunächst wird der echte Anwaltsvertrag betrachtet, dessen Gegenstand die Erbringung typischer anwaltlicher Leistungen ist, z.B. die Beratung des Mandanten, dessen Vertretung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren oder die Berücksichtigung der Interessen des Auftraggebers bei kautelarjuristischer Tätigkeit, etwa bei der Aushandlung und/oder Gestaltung eines Vertrages. Es geht dabei um die berufstypische Rechtsbeistandspflicht (vgl. § 3 Abs. 1 BRAO, §§ 3, 33 StBerG). Demgegenüber kann sich ein Rechtsberater auch vertraglich zu Dienstleistungen verpflichten, die keine oder nur geringe Pflichten zur Rechtsbetreuung umfassen (unechter Anwalts- bzw. Rechtsberatervertrag). Die Rechtsprechung geht im Zweifel von einem echten Anwaltsvertrag aus (vgl. Rdn 162 ff.).
Im Zusammenhang mit dem Verständnis und der Auslegung eines Anwaltsvertrags wird stets zu berücksichtigen sein, dass die Rechtsprechung angesichts der Fachkunde des Rechtsanwalts typischerweise von dessen Überlegenheit ggü. seinem regelmäßig rechtsunkundigen Mandanten ausgehen wird und die Belehrungspflichten auch ggü. Rechtsanwälten als Mandanten gleichermaßen bestehen.
I. Rechtsnatur
Rz. 5
Nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum ist ein typischer Anwaltsvertrag regelmäßig als Dienstvertrag einzuordnen, der eine Geschäftsbesorgung zum Inhalt hat (§§ 611, 675 Abs. 1 BGB). Das gilt auch für den Vertrag eines anwaltlichen Mediators mit der einzelnen Konfliktpartei (zur Mediation vgl. Rdn 182 ff.). Je nach Inhalt der übernommenen Leistungen kann der Anwaltsvertrag aber auch Werkvertrag sein, der auf eine Geschäftsbesorgung gerichtet ist (§§ 631, 675 Abs. 1 BGB) oder ausnahmsweise den Charakter eines Garantievertrags aufweisen.
Rz. 6
Die Abgrenzung von Anwaltsdienst- und Anwaltswerkvertrag kann ungeachtet der zentralen Haftungsnorm des § 280 Abs. 1 BGB und der übereinstimmenden Pflichten von Bedeutung sein. So sieht das Werkvertragsrecht verschuldensunabhängige Nacherfüllungsansprüche vor, die auch auf die Vergütung Einfluss haben können; auch der Verjährungsbeginn (Abnahme) kann abweichen.
Rz. 7
Ob ein Anwaltsvertrag als Dienst- oder als Werkvertrag einzuordnen ist, muss stets im Einzelfall ermittelt werden.
Die Tätigkeit eines Rechtsanwalts ist im Regelfall, insb. bei Beauftragung zur Prozessführung oder zur Besorgung von sonstigen Rechtsangelegenheiten, als Dienstvertrag zu qualifizieren. In diesem Fall bildet der umfassende anwaltliche Beistand, d.h. die Wahrung und Durchsetzung der Rechte und Interessen des Auftraggebers, den Gegenstand des Vertrages. Ein Werkvertrag liegt nicht vor, wenn nicht der zu erzielende Erfolg den Inhalt der Vertragsleistung bildet, sondern die Dienstleistung etwa in Form der Beratung oder des Beistands Hauptmerkmal bleibt.
Selbst bei einem Vertrag, der unterschiedliche Leistungen umfasst, weil er die Wahrnehmung aller steuerlichen Interessen des Auftraggebers vorsieht (Buchführung, Jahresabschluss, Steuererklärungen, Prüfung der Steuerbescheide), liegt regelmäßig ein Dienstvertrag vor, wenn auch eine Beratung vereinbart ist; die maßgebende Gesamtbetrachtung nach der vom Auftraggeber gewählten Zielrichtung führt dann zu der Beurteilung, dass ungeachtet der Ausrichtung auf ein bestimmtes Ergebnis nicht jede zu erbringende Einzelleistung als Erfolg i.S.d. Werkvertragsrechts geschuldet wird. Eine werkvertragliche Verpflichtung mit Geschäftsbesorgungscharakter liegt demgegenüber vor, wenn die Leistung des Steuerberaters nicht auf eine dauernde Beratung der GmbH gerichtet war, sondern die eingeschränkte Aufgabe enthielt, einen Weg aufzuzeigen, auf dem der Gewinn der GmbH auf einen Dritten übertragen werden konnte, ohne damit die steuerlichen Folgen einer Gewinnausschüttung an den Gesellschafter auszulösen.
Rz. 8
Ein Werkvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter ist ausnahmsweise bei Einzelaufträgen anzunehmen, die auf eine einmalige, in sich abgeschlossene Leistung gerichtet sind, denn in derartigen Fällen wird der Rechtsberater das Risiko im Allgemeinen hinreichend abschätzen können, um für einen bestimmten Erfolg seiner Tätigkeit als Werkleistung i.S.v. § 631 BGB einzustehen. Erfolg und Vergütung müssen im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehen. Das wird der Fall sein, wenn nach dem Vertrag (nur) eine Rechtsauskunft über eine Einzelfrage, (nur) die Erstattung eines Gutachtens oder (nur) eines Vertragsentwurfs geschuldet ist. Dasselbe gilt auch, wenn sich ein Rechtsanwalt zur Abgabe einer "legal opinion" verpflichtet oder bei der Erstellung oder Prüfung eines Jahresabschlusses.