Rz. 419
Internationale Sozietäten sind gesellschaftsrechtliche Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten, die in mindestens zwei Jurisdiktionen zugelassen sind. Nicht notwendig ist demgegenüber, dass eine internationale Sozietät Kanzleien in mehreren Staaten unterhält, wie dies § 29a BRAO deutschen Rechtsanwälten erlaubt.
aa) Anwendbares Recht
Rz. 420
Wie bei jedem Sachverhalt mit Bezug zum Recht eines ausländischen Staates (vgl. Art. 3 EGBGB) ist auch bei einer internationalen Sozietät vorab festzustellen, welche Rechtsordnung anzuwenden ist (zu dem auf einen Anwaltsvertrag anwendbaren Recht vgl. Rdn 359 ff.). Insoweit ist zwischen dem auf Haftungssachverhalte anwendbaren (Zivil-)Recht und dem anwendbaren Berufsrecht zu trennen.
Im Folgenden wird von der Geltung des deutschen Internationalen Privatrechts ausgegangen. Allerdings kann im Einzelfall für die Bestimmung des anwendbaren Rechts auch auf ausländische Kollisionsnormen abzustellen sein. Das anwendbare Kollisionsrecht richtet sich nach der sog. lex fori, d.h. dem am Gerichtsort geltenden Recht. Die Rechtsbeziehungen von Rechtsanwälten, die sich in einer Sozietät in der Rechtsform einer GbR zusammengeschlossen haben, zu dem Auftraggeber einschließlich einer etwaigen Haftung richten sich nach vertragsrechtlichen Grundsätzen (vgl. § 52 Abs. 2 Satz 1 BRAO). Dann ist das Vertragsstatut zu ermitteln (vgl. Rdn 204 f.). Das Vertragsstatut richtet sich nach der Rom I-VO. Vorbehaltlich einer Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) ist gem. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3, Abs. 4 Rom I-VO das Recht des Staates anzuwenden, zu dem der Vertrag den engsten Bezug aufweist. Für die Haftung einer internationalen Sozietät kommt es hierzu insb. auf den Sitz des beim konkreten Mandat federführenden Büros an. Art. 1 Abs. 2 Buchst. f. Rom I-VO nimmt allerdings Fragen, die das Gesellschaftsrecht und das Recht juristischer Personen betreffen, von der Geltung der Rom I-VO aus.
Rz. 421
Die Haftung der Mitglieder internationaler Sozietäten ist gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. Das Gesellschaftsstatut ist in Deutschland weder staatsvertraglich noch gesetzlich geregelt. Wegen der Einzelheiten ist auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze abzustellen. Nach früher überwiegender Ansicht richtete sich das Gesellschaftsstatut nach dem Recht am tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft. Dieser tatsächliche Verwaltungssitz ist danach i.S.d. kollisionsrechtlichen Anknüpfung der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH verstößt es grds. gegen die im EG-Vertrag gewährleistete Niederlassungsfreiheit (Ex-Art. 43 ff. EGV, jetzt Art. 49 ff. AEUV), wenn ein Mitgliedstaat die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmäßig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, und wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten. Aufgrund dieser Rechtsprechung des EuGH richtet sich das Gesellschaftsstatut nach der sog. Gründungstheorie. Dies bedeutet, dass sich die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse einschließlich der persönlichen Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach dem Recht richten, nach dem die Gesellschaft, hier die Sozietät, gegründet worden ist. Für eine deutsche GbR oder Partnerschaft gilt deutsches Recht, für eine englische Limited Liability Partnership gilt englisches Recht usw. Die Gründungstheorie gilt auch für Gesellschaften, die nach US-amerikanischem Recht gegründet sind, auch wenn deren Verwaltungssitz in Deutschland liegt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft geschäftliche Aktivitäten auch in den USA entfaltet. Diese Regeln gelten entsprechend für Anwaltskanzleien, die nach US-amerikanischem Recht gegründet sind.
Rz. 422
Haftungsrechtlich ist zu beachten, dass das Recht, nach dem sich die vertragliche Haftung der Sozietät richtet (Vertragsstatut), und das Recht, nach dem sich die persönliche Haftung der Sozietätsmitglieder richtet (Gesellschaftsstatut), voneinander abweichen und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können (vgl. Rdn 476).