Rz. 251

In der Beratungspraxis, v.a. aber in der Prozesspraxis kommt es regelmäßig vor, dass mehrere Rechtsanwälte an der Bearbeitung eines Auftrags beteiligt sind.[624] So kann der Vertrag mit Berufsausübungsgemeinschaften (Sozietäten, Gesellschaften etc.) abgeschlossen werden, wobei sich die Frage nach dem oder den Haftungsverpflichteten stellt.

Davon zu unterscheiden sind Fälle, in denen der Rechtsuchende gleichzeitig oder nacheinander mit mehreren Rechtsanwälten (oder Berufsausübungsgemeinschaften) jeweils einen Anwaltsvertrag geschlossen hat oder der beauftragte Rechtsanwalt (oder die Berufsausübungsgemeinschaft) im Innenverhältnis – mit oder ohne Kenntnis und Zustimmung des Mandanten – einen anderen Rechtsanwalt (oder eine Berufsausübungsgemeinschaft) einbezogen hat.

Die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten kann im Einzelfall erfolgen oder auf einer dauerhaften vertraglichen Grundlage beruhen. Haftungsrechtlich stellt sich die Frage, welche Sorgfaltspflichten die beteiligten Rechtsanwälte ggü. dem Auftraggeber jeweils zu beachten haben und unter welchen Voraussetzungen bei Pflichtverletzungen eines Rechtsanwalts eine Zurechnung erfolgen kann. Weiterhin können mehrere an der Mandatsbearbeitung beteiligte Rechtsanwälte als Gesamtschuldner haften, was einen Regress im Innenverhältnis nach sich ziehen kann. Haften die beteiligten Rechtsanwälte nicht als Gesamtschuldner, kann die Pflichtverletzung eines Rechtsanwalts ggü. dem Auftraggeber einem anderen an der Mandatsdurchführung beteiligten Rechtsanwalt unter den Voraussetzungen der §§ 254, 278 BGB zuzurechnen sein.

[624] Vgl. Borgmann/Jungk/Schwaiger, §§ 36 bis 38; Gehrlein, Anwalts- und Steuerberaterhaftung, E. Rn 68, F. Rn 1 ff.; Hellwig, AnwBl. 1996, 124 ff.; Jungk, AnwBl. 1997, 620 f.; Seltmann, VersR 1974, 97 ff.; Sieg, Internationale Anwaltshaftung, S. 145 ff.; ders., NJW 1996, 2209 ff.; ders., IWB 1996, 937 ff.; ders., ZAP, Fach 23, S. 341 ff.; Vollkommer/Greger/Heinemann, § 18 Rn 6 ff.

I. Prozess- und Verkehrsanwalt

1. Begriffsbestimmung

 

Rz. 252

Die Aufgabenteilung zwischen einem Prozess- und einem Verkehrsanwalt ergab sich über Jahrzehnte daraus, dass ein Rechtsanwalt seinen Auftraggeber in Zivilsachen grds. nur vor demjenigen Gericht vertreten konnte, bei dem er zugelassen war. Diese rechtliche Beschränkung entsprach nicht der Erfahrungstatsache, dass ein Rechtsuchender i.d.R. einen Rechtsanwalt beauftragt bzw. mit einem Rechtsanwalt seines Vertrauens zusammenarbeitet, der in seiner Nähe niedergelassen ist. Wenn nun ein Rechtsstreit vor einem auswärtigen Gericht geführt werden muss, legt der Rechtsuchende regelmäßig Wert darauf, weiterhin von seinem örtlichen Rechtsanwalt beraten zu werden. Wenngleich inzwischen die Beschränkungen hinsichtlich der Postulationsfähigkeit weitgehend aufgehoben sind, wird dennoch aus einer Vielzahl von Gründen ein weiterer Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beauftragt. Dasselbe gilt, wenn der Auftraggeber auch in der Rechtsmittelinstanz nicht auf die Mittlerrolle seines am Rechtsmittelgericht nicht zugelassenen vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten verzichten möchte. Ein an Bedeutung gewinnender Sonderfall ist die Beauftragung eines ausländischen Prozessbevollmächtigten, wenn der Mandant Partei eines Rechtsstreits im Ausland ist (vgl. auch Rdn 364).[625] Derjenige Rechtsanwalt, der den Verkehr mit dem gemeinsamen Auftraggeber führt, wird allgemein als Verkehrs- oder Korrespondenzanwalt, der Prozessbevollmächtigte als Prozessanwalt bezeichnet.[626]

 

Rz. 253

Das Verhältnis zwischen Verkehrsanwalt und Prozessbevollmächtigtem sowie die Beziehungen der Rechtsanwälte zum gemeinsamen Auftraggeber sind – abgesehen vom Gebührenrecht – gesetzlich nicht geregelt. Im RVG ist die Tätigkeit des Verkehrsanwalts in Nr. 3400 des Gebührenverzeichnisses berücksichtigt. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Verkehrsanwalts richtet sich nach § 91 ZPO.[627]

 

Rz. 254

Die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen dem Mandanten und den beauftragten Rechtsanwälten hängt von möglichen Absprachen ab, die aber auch getroffen werden sollten.[628] Es gibt keine zwingend vorgeschriebene Aufgabenverteilung. Der Verkehrsanwalt vermittelt typischerweise die Korrespondenz zwischen dem Prozessbevollmächtigten und dem gemeinsamen Mandanten.[629] Vielfach wird zusätzlich vereinbart, dass der Verkehrsanwalt den Auftraggeber weiterhin zu beraten, den rechtserheblichen Sachverhalt aufzuklären und auch die Schriftsätze auszuarbeiten hat, die der Prozessbevollmächtigte dann mit seinem Briefbogen bzw. Stempel zu versehen, zu unterzeichnen und bei Gericht einzureichen hat. Auf Wunsch des Auftraggebers kann der Verkehrsanwalt auch als Beistand des Prozessbevollmächtigten an Gerichtsterminen teilnehmen.

[625] Zur Beauftragung eines ausländischen Prozessbevollmächtigten sowie zu dem hierzu maßgebenden Präzedenzfall: OLG Bamberg, MDR 1989, 542.
[626] Vgl. Borgmann/Jungk/Schwaiger, § 38 Rn 62 bis 64; Hartstang, S. 77 bis 84 und 595 bis 601; Mayer, AnwBl. 1992, 170 ff.; Mennemeyer, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn 193; Seltmann,...

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