Rz. 497
Es kann vorkommen, dass Rechtsanwälte und Mandant in Unkenntnis des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO individualvertraglich die Haftung des Rechtsanwalts in einer über den gesetzlichen Rahmen hinausgehenden Weise beschränkt haben. Zu denken ist etwa an einen vollständigen Haftungsausschluss für telefonische Rechtsberatung, Beratung unter Zeitdruck, für eine Beratung in einer ausländischen Rechtsordnung oder im Steuerrecht. § 52 BRAO enthält keine Aussage über die Rechtsfolgen einer unzulässigen Haftungsbeschränkung. Der Vorschrift ist jedoch zu entnehmen, dass eine Haftungsbeschränkung nur unter den dort aufgeführten Voraussetzungen zulässig sein soll. Eine darüber hinausgehende Vereinbarung, wie etwa ein vollständiger Haftungsausschluss, ist daher grds. unwirksam.
Die inhaltlichen Grenzen einer Haftungsbeschränkung im Einzelfall ergeben sich neben § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO aus den allgemeinen Regeln der §§ 138, 242, 276 Abs. 2 und 278 Satz 2 BGB. Auf dem Umweg über diese Normen darf allerdings die spezielle gesetzgeberische Wertung in § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO nicht umgangen werden.
Rz. 498
Die Rechtsfolgen einer unwirksamen individualvertraglichen Haftungsbeschränkung richten sich nach § 139 BGB. Danach ist ein Rechtsgeschäft bei Nichtigkeit eines Teils des Geschäfts insgesamt nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Wenn die Parteien eines Anwaltsvertrages keine ausdrückliche oder konkludente Regelung der Rechtsfolgen einer Teilnichtigkeit vorgesehen haben, ist deren mutmaßlicher Wille im Wege der ergänzenden Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist, welche Entscheidung die Parteien bei Kenntnis der Teilnichtigkeit nach Treu und Glauben, bei vernünftiger Abwägung der beiderseitigen Interessen und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten. Dabei kommt den Umständen des Einzelfalls besondere Bedeutung zu.
Rz. 499
Bei einem Anwaltsvertrag ist im Zweifel anzunehmen, dass die Parteien den Vertrag trotz einer unwirksamen Haftungsbeschränkung durchgeführt hätten. Dann bleibt der Vertrag zwischen Rechtsanwalt und Mandant i.Ü. wirksam. An die Stelle der unwirksamen Haftungsbeschränkung tritt eine Regelung, die dem hypothetischen Parteiwillen entspricht, d.h. die der im Einzelnen ausgehandelten Vereinbarung am nächsten kommt, aber noch zulässig ist. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls kann die Vereinbarung im Zweifel ergänzend so ausgelegt werden, dass sie den Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO genügt: Der Rechtsanwalt haftet seinem Auftraggeber für Vorsatz uneingeschränkt; für Fahrlässigkeit ist die Haftung auf den Mindestbetrag der gesetzlichen Haftpflichtversicherung, gegenwärtig 250.000,00 EUR, beschränkt. Allein dies entspricht – jedenfalls bei einer individualvertraglichen Haftungsbeschränkung – dem das deutsche Privatrecht beherrschenden Grundsatz der Privatautonomie. Ein Rückgriff auf das dispositive Gesetzesrecht, also eine gem. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB unbeschränkte Haftung auch für Fahrlässigkeit, entspricht im Zweifel nicht dem übereinstimmenden Willen beider Parteien.
Rz. 500
Eine Vereinbarung, in der die Haftung des Rechtsanwalts allgemein für Fahrlässigkeit beschränkt wird, die jedoch den Anforderungen an eine Vereinbarung im Einzelfall nicht genügt und deshalb unter § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO fällt, ist – wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird (vgl. Rdn 502 ff.) – unwirksam.