a) Änderung der Ausgangslage: Unterwanderung der Dispositionsbefugnis des Geschädigten
Rz. 106
Die wirtschaftliche Ausgangslage hat sich bei den Kfz-Werkstätten – wie oben dargestellt – mittlerweile grundlegend geändert. Während noch vor kurzer Zeit die Nähe zur Assekuranz den unter Ziffer 2. beschriebenen Schulterschluss verursacht hatte, denken die Werkstätten heute anders. Diese oben bereits erwähnte Schnelligkeit des Anwalts bei der Schadenregulierung ist auch aus einem anderen Grund geboten. Die Assekuranz hat sich nämlich die Rechtsprechung des BGH zur Restwertproblematik zu eigen gemacht, wonach der Geschädigte sich zwar auf die zutreffende Restwertangabe in einem Gutachten eines Sachverständigen, die dem unmittelbaren Umkreis des Geschädigten und nicht dem Internet entstammt, verlassen und sein unfallgeschädigtes Fahrzeug zu diesem Preis veräußern darf, er jedoch gegen seine Schadensminderungspflicht verstößt, wenn er dies tut, nachdem er ein höheres Restwertangebot des Versicherers zugestellt erhalten hat. Also unterbreitet die Assekuranz dem Geschädigten in Totalschadensfällen stets extrem schnell ein Restwertangebot aus dem Internet.
Rz. 107
Ausgangspunkt hierzu war die Entscheidung des BGH zur Restwertproblematik (VersR 1992, 457; 1993, 769; NJW 2000, 800), wonach sich der Geschädigte zwar auf die Richtigkeit eines Sachverständigengutachtens verlassen und seinen Pkw zu dem im Gutachten genannten Restwert verkaufen durfte, er aber gegen die Schadensminderungspflicht verstieß, wenn er ein ihm von der Assekuranz zugeleitetes höheres Restwertangebot aus dem Internet ignorierte, sofern ihn dieses zu einem Zeitpunkt erreichte, als er sein Fahrzeug noch nicht verkauft hatte.
Rz. 108
Das haben die Versicherer nun für sich und ihre Ziele entdeckt: Sie verwenden die gleiche Argumentation nun auch bei
1. |
Sachverständigen |
2. |
Mietwagen |
3. |
Werkstätten. |
Rz. 109
Schon bei der ersten Kontaktaufnahme seitens des Versicherers wird dem Geschädigten neuerdings ein dem Versicherer genehmer, jedenfalls besonders günstiger Sachverständiger (meist eine versicherungsnahe Sachverständigenorganisation – CarExpert, DEKRA u.s.w. – oder ein angestellter Sachverständiger des jeweiligen Versicherers) benannt, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass dann, wenn der Geschädigte einen freien und unabhängigen Sachverständigen beauftragt, der nicht nach bestimmten günstigen Honorarsätzen abrechnet, dessen höheres Honorar nicht übernommen, sondern ausschließlich das niedrigere Honorar des benannten versicherungsnahen Sachverständigen gezahlt wird. Die Folge ist eine unglaubliche Menge von Prozessen um die Höhe der Sachverständigenhonorare, welche die Versicherer aber bislang nahezu ausschließlich verloren haben.
Rz. 110
Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Beauftragung eines freien und unabhängigen Sachverständigen einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstelle. Das gleiche Procedere findet sich bei den Mietwagen wieder. Auch hier werden besonders günstige Mietwagen aus dem Bestand des Versicherers oder aus versicherungseigenen Mietwagenunternehmen benannt und ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht eingewandt, wenn der Geschädigte bei einem anderen Mietwagenunternehmen anmietet.
Rz. 111
Bemerkenswert ist aber, dass entsprechend der seitens der Anwaltschaft seit Jahren geäußerten Prognose nun auch die Werkstätten der gleichen Taktik zum Opfer gefallen sind. Der Versicherer benennt dem Geschädigten eine ihm genehme, der Assekuranz nahe- oder im Vertragsverhältnis stehende Werkstatt ("Vertrauenswerkstatt", "Vertragswerkstatt") und verweist auf deren günstigere Preise. Wenn dann der Geschädigte eine freie, z.B. Markenwerkstatt wählt, wird ihm unter Hinweis auf einen angeblich begangenen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nur der geringere Betrag der benannten Werkstatt ersetzt. Das wird inzwischen nicht nur bei der fiktiven Abrechnung so praktiziert, sondern teilweise sogar bei einer konkreten Reparatur in einer Markenwerkstatt!
Rz. 112
Begründet wird das damit, dass die benannte Werkstatt eine "Fachwerkstatt" sei, welche die Reparatur in gleicher Qualität ausführen könne. Tatsächlich jedoch handelt es sich dabei meist um reine Karosseriewerkstätten, die oftmals einer "Hinterhofwerkstatt" näherkommen als dem, was man sich gemeinhin unter einer "Fachwerkstatt" vorstellt. Die gleiche Qualität wie in einer Markenwerkstatt kann selbstverständlich schon allein deshalb nicht erreicht werden, weil derartige Werkstätten weder über das erforderliche Spezialwerkzeug noch über die für die Elektronik erforderliche EDV (insbesondere herstellerspezifische Diagnosegeräte und -software zum Auslesen der fahrzeugspezifischen Fehlerspeicher und mit der Aufspielmöglichkeit von Updates) sowie über die Markenersatzteile verfügen. Eine derartige, nicht in einer Markenwerkstatt durchgeführte Reparatur kann sogar dazu führen, dass der Garantieanspruch des Kunden gegenüber dem Hersteller erlischt.
Rz. 113
Und häufig kommt es später noch schlimmer: Oft erst nach einigen Jahren stellt sich der Mangel einer solchen Bil...