Rz. 120
Eine besondere Sorgfalt des Anwaltes beginnt bereits bei der Übernahme des Mandates. In Verkehrssachen ist die Gefahr von Doppelmandaten besonders groß. Allein schon aus berufsrechtlichen Gründen, aber auch wegen der Strafbestimmung des § 356 StGB (Parteiverrat), ist der Anwalt daher verpflichtet, die Annahme eines Doppelmandates nicht nur zu vermeiden, sondern sicher auszuschließen.
Rz. 121
Ein solches Doppelmandat entsteht z.B., wenn der Anwalt in dem gleichen Schadensfall den einen Beteiligten – in der Schadenssache oder als Verteidiger in der dazugehörigen Bußgeld- oder Strafsache – vertritt, und ein anderer Kollege in der Sozietät den anderen Beteiligten auch nur beraten oder dessen Unfall aufgenommen hat.
Rz. 122
Beispiel
Ein Ehemann schildert dem Anwalt seinen von ihm allein schuldhaft verursachten Unfall, bei dem seine Frau schwer verletzt wurde. Er fragt nach strafrechtlichen Konsequenzen für sich und danach, ob seiner Ehefrau Schadensersatzansprüche ihm und seinem Haftpflichtversicherer gegenüber zustehen. Der Anwalt bejaht das, woraufhin der Ehemann ihn bittet, das Mandat für seine Frau gegen ihn und seinen Haftpflichtversicherer zu übernehmen.
Rz. 123
An der Übernahme dieses Mandates ist der Anwalt jedenfalls dann gehindert, wenn er den Ehemann zuvor auch nur strafrechtlich beraten hat. Das kommt sehr oft dann vor, wenn es nicht nur um die Vertretung des Fahrzeugführers – häufig zugleich als Eigentümer oder Halter – geht, sondern auch die der Insassen. Bei der Vertretung von Fahrer und verletzten Insassen entsteht z.B. auch dann eine Pflichtenkollision, wenn der Unfallgegner – wenn auch im Endergebnis völlig zu Unrecht – eine Mithaftung des Fahrers behauptet.
Rz. 124
Im Schadensrecht ist in Fällen der Vertretung mehrerer Beteiligter desselben Unfallereignisses fast immer eine widerstreitende Interessenlage gegeben, weil es um finanzielle Ansprüche geht, die von der Natur der Sache her immer gegen einen anderen Unfallbeteiligten gerichtet sind. Unfallbeteiligte sind also fast immer Parteien i.S.d. § 356 StGB.
Rz. 125
In dem eingangs genannten Fall (siehe Rdn 5) wäre es also höchst gefährlich, auch die auf dem Beifahrersitz mitgefahrene Arbeitskollegin K zu vertreten, da der Mandant ja voraussichtlich mit ⅓ aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung mithaftet und die K demzufolge einen gesamtschuldnerischen Anspruch gegen den Mandanten und dessen Versicherer auf Ersatz ihres Schadens hat.
Rz. 126
Die strafrechtliche Brisanz des Parteiverrates wird besonders in Fällen der Vertretung von Ehepartnern, Freunden oder Arbeitskollegen des Unfallfahrers häufig verkannt. Die Pflichtwidrigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist nämlich nicht dadurch ausgeschlossen, dass der eine Mandant sich mit der Vertretung des anderen einverstanden erklärt hat. Dies folgt daraus, dass der Schutzzweck des Verbots der Wahrnehmung widerstreitender Interessen auch im Vertrauen der Allgemeinheit in die Unabhängigkeit der Anwaltschaft besteht. Dieses allgemeine Vertrauen ist nicht disponibel. Das gilt auch unabhängig davon, ob das eine Mandat beendet war, als das weitere angenommen wurde.
Rz. 127
So liegt Parteiverrat auch vor, wenn der Anwalt den Unfallfahrer im Bußgeld- oder Strafverfahren verteidigt hat und – zur selben Zeit oder danach – die Interessen eines Geschädigten vertritt, mag dieses auch mit dem Einverständnis der Beteiligten geschehen. Daran ändert auch nichts, dass die Ansprüche nur gegen den hinter dem Fahrer stehenden Haftpflichtversicherer gerichtet werden (BayObLG NJW 1995, 606).
Merke
Der Mandant von heute ist ggf. der Gegner von morgen!
Rz. 128
Weitreichende Änderungen haben sich durch das am 1.8.2002 in Kraft getretene Schadensrechtsänderungsgesetz ergeben. § 847 BGB wurde aufgehoben und nach § 253 Abs. 2 BGB setzt ein Schmerzensgeldanspruch kein Verschulden mehr voraus. Ferner haben Insassen nunmehr auch dann Gefährdungshaftungsansprüche nach § 7 StVG, wenn sie nicht geschäftsmäßig befördert wurden. Dem Halter eines Fahrzeuges wird gegenüber Insassen praktisch nie der Nachweis gelingen, der Unfall basiere auf höherer Gewalt.
Rz. 129
Eine Interessenkollision wird daher in allen Fällen anzunehmen sein, in denen der geschädigte Kfz-Halter und der Insasse einen gemeinsamen Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragen. Denn der Insasse hat seit dem 1.8.2002 stets – also auch ohne ein Verschulden des Halters, sogar im Falle eines für den Halter unabwendbaren Ereignisses – einen vollen Schadensersatzanspruch gem. § 7 StVG gegen den Halter, einschließlich eines Schmerzensgeldes. Aufgrund der strengen Anforderungen, die der BGH an die Belehrungspflichten stellt, wäre der Anwalt ggf. – z.B. bei sich später ergebenden Schwierigkeiten mit der Regulierung des gegnerischen Haftpflichtversicherers – auch ungefragt verpflichtet, den geschädigten Insassen darüber aufzuklären, dass ihm Schadensersatzansprüche auch gegen den anderen Mandanten zustehen. Aus diesem Grunde liegt von vornherein eine abstrakte Interessenkollision vor. Dies...