1. Zum Anspruchsgrund
a) Privatgutachten
Rz. 378
Da einerseits auch Anwälte später oft schlauer sind als vorher und derweil wertvolle Beweise verloren gegangen sein können, andererseits sich auch niemand etwa auf eine ordnungsgemäße und vollständige Ermittlungstätigkeit der Polizei verlassen darf, insbesondere nicht darauf, dass deren angefertigte Fotografien auch tatsächlich etwas geworden sind oder zur Verfügung stehen, ist stets zu prüfen, inwieweit und wann der Anwalt selbst tätig werden kann oder muss.
Rz. 379
Es kann sinnvoll sein, Ermittlungen selbst zu veranlassen, wenn die Gefahr besteht, dass es Streit über die Unfallkonstellation, die gefahrenen Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge, die Fahrbahnbeschaffenheit, den Pflanzenbewuchs zur Unfallzeit wie überhaupt die etwaigen seinerzeitigen Sichtbehinderungen oder Sichtverhältnisse vor Ort geben wird. Das gilt auch, wenn etwaig gezeichnete Brems- und Kratzspuren zu sichern sind.
Rz. 380
Dabei kommt durchaus die unmittelbare Beauftragung eines Sachverständigen durch den insoweit bevollmächtigten Anwalt in Betracht. Diese wäre gem. § 5 Abs. 1f ARB auch durch den Rechtsschutzversicherer des Mandanten zu finanzieren, sofern der beauftragte Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt ist und das Gutachten für die Verteidigung in verkehrsrechtlichen Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren (Erforderlichkeit für die Schadenregulierung reicht also nicht aus) erstellt wird.
Rz. 381
Ein solches Gutachten hat nur den Nachteil, dass die Gegenseite dagegen später den Einwand des Parteigutachtens erheben kann. Auch sind die Kosten eines vorgerichtlich eingeholten verkehrsanalytischen Parteigutachtens nicht ersetzbar (OLG Saarbrücken zfs 1998, 294). Ein solches Gutachten ist nämlich zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung ungeeignet. Eine wirtschaftlich denkende Partei hätte ein solches Gutachten deshalb nicht eingeholt, weil es als Parteigutachten im Gegensatz zum Gerichtsgutachten zu einer Überzeugungsbildung des Gerichtes nicht beitragen kann. Entweder einigt man sich deshalb mit dem gegnerischen Versicherer auf die Erstellung eines solchen Gutachtens oder besorgt es sich – wie zuvor beschrieben – mit Kostenschutz über die Rechtsschutzversicherung im Rahmen eines gegebenenfalls in gleicher Sache zeitgleich anhängigen Bußgeld- oder Strafverfahrens.
b) Gerichtliches selbstständiges Beweisverfahren
Rz. 382
Es kann erforderlich werden, über den Grund des Anspruchs ein selbstständiges Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO einzuleiten.
Rz. 383
Zuständig ist einerseits das Prozessgericht (§ 486 Abs. 1 ZPO), andererseits aber auch das Amtsgericht der belegenen Sache (§ 486 Abs. 3 ZPO). Voraussetzung ist, dass – in Abgrenzung zu einem Ausforschungsbeweisantrag – eine konkrete Tatsache behauptet wird, die unter Beweis gestellt wird.
Rz. 384
Fraglich ist, inwieweit es ratsam ist, sogleich auch einen konkreten Sachverständigen unter Angabe seiner Adresse zu benennen, z.B. den eigenen "Haussachverständigen", mit dem sinnvollerweise zuvor telefonisch dessen Möglichkeit und Bereitschaft zur Begutachtung geklärt werden sollte. Häufig führt dies dazu, dass der Verfahrensgegner aufgrund nachvollziehbarer Skepsis darauf hinwirkt, dass jeder andere, jedoch gerade nicht der vom Antragsteller benannte Sachverständige ernannt wird. Die Benennung gilt daher inzwischen als sicherer Tipp, einen unliebsamen Sachverständigen auszuschalten. Anders als nach früherem Recht ist eine Benennung durch den Antragsteller prozessual auch nicht mehr vorgesehen, da gem. § 404 Abs. 1 ZPO der Sachverständige grundsätzlich vom Gericht bestimmt wird. Zugleich ist ein ausreichender Vorschuss (in der Regel dürften 500 EUR ausreichen) einzuzahlen oder Kostenbürgschaft zu übernehmen.
Rz. 385
Die Tatsachen, welche die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen, müssen glaubhaft gemacht werden.
Rz. 386
Oft vergeht zwischen Antragstellung und tatsächlicher Besichtigung durch den Sachverständigen ein viel zu großer Zeitraum, in dessen Verlauf sich die Verhältnisse vor Ort schon wieder erheblich geändert haben könnten.
Rz. 387
Um den Verlust von Beweismitteln zu vermeiden, bietet es sich an, dem Sachverständigen die Antragsschrift vorab per Fax zu übersenden und ihn über seine bevorstehende gerichtliche Beauftragung zu informieren sowie ihn zu bitten, unverzüglich vor Ort die erforderlichen Feststellungen zu treffen und – z.B. fotografisch – eine Zustandsdokumentation zu erstellen.
Rz. 388
Für die Kosten eines solchen Verfahrens ist einerseits die Rechtsschutzversicherung des Mandanten eintrittspflichtig (§ 5 Abs. 1c ARB 94/2000/2008), andererseits kann ggf. Prozesskostenhilfe für ein solches Verfahren beantragt werden.
Rz. 389
Die Durchführung des selbstständigen gerichtlichen Beweisverfahrens löst neben den bereits entstandenen Gebühren gem. Nr. 3100, 3104 VV RVG für das Hauptsacheverfahren zusätzlich und unabhängig von dem Hauptsacheverfahren zwar ebenfalls die Gebühr gem. Nr. 3100 VV RVG aus, die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisv...