Rz. 231
Gem. § 118 Abs. 1 S. 1 BetrVG besteht hinsichtlich von Tendenzbetrieben die Besonderheit, dass das Betriebsverfassungsgesetz auf Tendenzbetriebe und Tendenzunternehmen keine Anwendung finden soll, soweit die Eigenart des Unternehmens oder Betriebes dem entgegensteht. Folglich sind §§ 111 bis 113 BetrVG auf Tendenzbetriebe nur so weit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln. Die Regelungen zum Wirtschaftsausschuss gem. § 106 bis § 110 BetrVG kommen gar nicht zur Anwendung.
Rz. 232
Als Tendenzbetrieb in diesem Sinne gelten Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar oder überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen. Auch Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Anwendung findet, fallen hierunter.
Rz. 233
Dies bedeutet, dass die Beratungsrechte und die Verpflichtung zum Versuch eines Interessenausgleichs aus § 111 ff. BetrVG auf Tendenzunternehmen keine Anwendung finden. Unbenommen bleibt hiervon natürlich die Möglichkeit, einen freiwilligen Interessenausgleich abzuschließen.
Rz. 234
Allerdings bleibt die Pflicht des Unternehmers, den Betriebsrat auch im Tendenzunternehmen oder Tendenzbetrieb rechtzeitig und umfassend über die Betriebsänderung zu unterrichten, bestehen. Lediglich die Pflicht, zum Abschluss eines Interessenausgleiches, bzw. zum Versuch desselben, entfällt. Gerade deshalb ist die Unterrichtung in Tendenzunternehmen auch nicht auf den Versuch des Interessenausgleichs gerichtet. Vielmehr hat die Unterrichtung so zu erfolgen, dass der Betriebsrat noch Vorstellungen über einen Sozialplan entwickeln kann.
Rz. 235
Folglich riskiert der Unternehmer, der eine Betriebsänderung durchführt, ohne den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet zu haben, auch in Tendenzbetrieben, wegen eines Nachteilsausgleichsanspruchs gem. § 113 Abs. 3 BetrVG in Anspruch genommen zu werden.
Rz. 236
Der Sozialplan, der die wirtschaftlichen Nachteile regelt, ist jedoch auch in Tendenzunternehmen erzwingbar. Da es hier um die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer geht, bleiben die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates insoweit unangetastet. Aufgrund dieser bestehenden Verpflichtung muss der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet werden, um in die Lage versetzt zu werden, eigene, angemessene Vorstellungen zum Inhalt des künftigen Sozialplans zu entwickeln. Demnach hat in Tendenzbetrieben der Unternehmer den Betriebsrat nach § 118 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 111 S. 1 BetrVG schon vor Durchführung der Betriebsänderung die Informationen zu erteilen, die dieser benötigt, um erforderlichenfalls mit Hilfe seines Initiativrechts das Verfahren zur Aufstellung eines Sozialplans in Gang zu setzen. Hierzu ist es jedoch nicht nötig, dass dem Betriebsrat schon vor Durchführung der Betriebsänderung sämtliche für den späteren Abschluss des Sozialplans tatsächlich relevant gewordene Informationen übermittelt werden. Der zeitliche Anknüpfungspunkt, wann die Unterrichtung des Betriebsrates noch rechtzeitig ist, unterscheidet sich in Tendenzunternehmen erheblich von einem Unternehmen ohne Tendenzschutz. In einem Unternehmen ohne Tendenzschutz hat der Arbeitgeber so rechtzeitig zu unterrichten, dass der Betriebsrat noch Vorstellungen hinsichtlich der geplanten Betriebsänderung entwickeln und die unternehmerische Entscheidung potenziell zumindest noch beeinflussen kann. In Tendenzunternehmen hingegen genügt es, wenn die Unterrichtung so rechtzeitig erfolgt, dass der Betriebsrat sich hinsichtlich seiner Vorstellungen über den Sozialplan noch klarwerden kann. Auch wenn es hier keine klaren Zeitvorgaben gibt, dürften in jedem Fall Informationen, die zwei Monate vor Ausspruch der beabsichtigten Kündigung erfolgen, ausreichend und angemessen sein.