Dr. iur. Tobias Spanke, Karl-Ludwig Kerscher
I. Der Rechtsanwalt als weiterer Kompetenzträger
Rz. 11
Der Rechtsuchende findet im Rechtsanwalt neben dem Notar einen weiteren erbrechtlichen Kompetenzträger. Dies führt zu einer gewissen Konkurrenz der beiden Berufe. Ein Konkurrenzverhältnis besteht jedoch nur sehr eingeschränkt.
Der Rechtsanwalt kann beurkundungsbedürftige Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte mit seinen Mandanten nur erörtern und die entsprechenden Entwürfe fertigen, die der Notar sodann beurkundet.
Im Erbrecht besteht daher ein Konkurrenzverhältnis auf zwei wichtigen Gebieten, nämlich auf dem Feld der erbrechtlichen Beratung und der nicht beurkundungsbedürftigen letztwilligen Verfügungen.
Rz. 12
Ein genauerer Blick zeigt jedoch auf, dass die Tätigkeiten des Anwalts und des Notars nicht vergleichbar sind. Dies resultiert aus dem sehr unterschiedlichen Berufsbild. Für den Anwalt gilt:
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Freiberufler statt Amtsträger |
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Interessenvertreter statt neutraler Berater und Urkundsperson |
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Freiheit in der Ausgestaltung des Anwaltsvertrags, nach Umfang, Gegenstand, Dauer, Schriftlichkeit statt vorgegebener Normierung der Berufsausübung |
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Freie Vereinbarkeit des Anwaltshonorars statt starrem Gebührensystem. |
Rz. 13
Diese Gestaltungsfreiheit ermöglicht dem Rechtsanwalt, seine konkrete Tätigkeit und Honorierung im Einvernehmen mit seinem Mandanten auf dessen persönliche Zielsetzungen und die Besonderheiten seines Falles individuell abzustimmen.
Bei genauer Kenntnis der beiden Berufe ist Kooperation statt Konkurrenz angesagt. Dies kommt nicht nur den beiden Berufsträgern entgegen, sondern entspricht der Erwartungshaltung des rechtsuchenden Publikums.
II. Der Rechtsanwalt als Berater im Erbrecht
Rz. 14
Eine ganzheitliche Betrachtungsweise, nämlich neben den rechtlichen, auch wirtschaftliche, menschliche und streitrelevante Gesichtspunkte detailliert zu erfragen und in die Entscheidung mit einzubeziehen, ist typischer Inhalt des erbrechtlichen Mandats, also der anwaltlichen Tätigkeit.
1. Interessenbezogene Beratung
Rz. 15
Sie ist ihrem Wesen nach für den Rechtsuchenden bedeutsamer und aussagekräftiger als eine nur neutrale, erläuternde Beratung. Bei der Durchsetzung des Erblasserwillens kann es naturgemäß immer wieder zu Interessenkonflikten mit anderen Beteiligten kommen. Es entspricht dem Willen der Testierenden, dass dieser Wille nötigenfalls auch entgegen deren Interessen durchgesetzt werden kann. So erwartet er vom Anwalt weitere Hinweise und – wenn möglich – weitere begleitende Maßnahmen, die der Verwirklichung seiner Ziele, insbesondere dem einer möglichst friedlichen Auseinandersetzung, dienen.
2. Strategische Beratung
Rz. 16
Die interessenbezogene Beratung ist zumeist auch eine strategische. Hierunter ist ein planvolles Vorgehen zu verstehen, das dazu dient, die erklärten Ziele zu erreichen und hierbei diejenigen Faktoren von vornherein einzukalkulieren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten. Ohne eine sorgfältig ausgearbeitete Strategie ist eine optimale Erreichung der Zielvorstellungen nicht möglich.
3. Erbfallrelevante Beratung
Rz. 17
Die auf den Erbfall bezogene, an dem Interesse des Auftraggebers orientierte und strategisch ausgerichtete Beratung hat die Auswirkungen einer jeden bisherigen und zukünftigen Maßnahme im Blick, inwieweit und in welcher Weise diese sich auf die Rechtslage der Beteiligten im Erbfall auswirken wird.
Von der erbfallrelevanten Beratung ist die nur urkundenrelevante Beratung zu trennen. Letztere ist ein Weniger.
a) Ermittlung des erbfallrelevanten Sachverhalts
Rz. 18
Maßgebend ist der historische Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt seiner rechtlichen Bedeutung für den Erbfall, sei es dass er unverhofft schnell oder erst Jahrzehnte später eintreten wird. Von Bedeutung sind vor allem
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Staatsangehörigkeit, Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, Familienstand und ehelicher Güterstand |
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der Familienstammbaum mit Eltern, Kindern und Kindeskindern |
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die Eigentumsverhältnisse an allen wesentlichen Immobilien und Wertgegenständen, insbesondere die Übertragung von Immobilien auf Kinder als Ausgleichung, unentgeltlich oder teilentgeltlich, mit oder ohne Ausgleichspflichten unter Abkömmlingen, mit oder ohne Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch |
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Hilfeleistungen der Eltern an Kinder oder umgekehrt. |
Man könnte auch von einer erbfallrelevanten Familien- und Vermögensgeschichte sprechen.
b) Ermittlung der erbfallrelevanten Willensbildung
Rz. 19
Der zentrale Punkt im Erbrecht sowohl vor wie auch nach dem Erbfall ist die Willensbildung. Die Erfahrung lehrt, dass der Mandant sich bei der Bildung seines Willens schwer tut. Wie sollte er sich denn auch leicht entscheiden können, wenn ihm der für seinen Fall konkrete erbfallrelevante Sachverhalt nicht hinreichend bekannt, er sich insbesondere seiner rechtlichen Auswirkungen nicht bewusst ist.
Rz. 20
Es geht vor dem Erbfall um die Bildung des Willens des/der Testierenden. Sie setzen das Recht, nach dem ihre Erbfolge von statten gehen soll. Nach dem Erbfall wird der überlebende Ehegatte/Partner oder sonst Begünstigte in einer fachkundigen Beratung durch einen in der praktischen Abwicklung von Erbfällen erfahrenen Rechtsanwalt die in Betracht kommenden Schritte besprechen und sodann entscheiden, wie nach seinem Wunsch am zwe...