Dr. iur. Tobias Spanke, Karl-Ludwig Kerscher
Rz. 26
Nicht nur der juristische Laie unterschätzt die Komplexität und das Streitpotenzial im Erbrecht, sondern auch der Jurist schlechthin, wie auch der auf das Erbrecht spezialisierte Anwalt in eigener Sache. Für letzteren liegt die Schwierigkeit darin, dass er wegen der eigenen Betroffenheit nicht den nötigen Abstand besitzt, um Gefahren und Möglichkeiten zu ihrer Abwehr zu erkennen und insbesondere auch die angezeigten Gestaltungen aufschiebt. Ihm kann nur angeraten werden, sich der Hilfe eines kompetenten Kollegen bzw. einer Kollegin zu bedienen. Die Gründe hierfür sind vielfältig.
Rz. 27
Die schier unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten der Vermögensnachfolge führen zur Unsicherheit in der Entscheidung. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten ist deutlich die Tendenz zur Einfachheit festzustellen. So erfreut sich das Berliner Testament einer allgemeinen Zustimmung, ohne dass die vom konkreten Fall her zu empfehlenden oder gar zu fordernden Anpassungen konsequent umgesetzt werden. Vielfach unterbleibt die Errichtung eines Testaments weil "man es letztlich doch keinem recht machen könne".
Rz. 28
Erbrechtliche Gestaltungen werden leider meist statisch und nicht dynamisch gesehen. Der Inhalt eines Testaments gibt die getroffenen Regelungen gleichsam wie eine Fotografie wieder. Das Leben ist jedoch ein Film und keine Fotografie. Daher bedarf das einmal errichtete Testament einer fürsorgenden Kontrolle und nötigenfalls einer Aktualisierung. Entsprechend ist auch der erbfallbezogene Sachverhalt fortzuschreiben. Darunter ist die kontinuierliche Testamentspflege, insbesondere bei einer Veränderung in den Personen- oder Vermögensverhältnissen, zu verstehen. Je mehr sich ein Anwalt auf das Erbrecht und das Recht der Vermögensnachfolge spezialisiert hat, umso dringlicher weist er seine Mandanten auf die Notwendigkeit der Testamentspflege hin. Die Testamentspflege kann dann relativ schnell und kostengünstig erfolgen, wenn der vorangegangen Errichtung des letzten Willens eine sorgfältige Erfassung des Sachverhalts mit Dokumentation und ein auf den konkreten Fall bezogenes Erbfallszenarium die Grundlage der Willensbildung darstellten. Da der Rechtsanwalt sein Honorar frei vereinbaren kann, wird er für die Testamentspflege nicht nach den gesetzlichen Gebühren und damit nach Gegenstandswert abrechnen, sondern er wird sein Honorar nach dem konkreten Aufwand bemessen. Dieses Entgegenkommen ist dem Notar als Amtsperson gesetzlich nicht gestattet.
Rz. 29
Die für das Erbrecht maßgebenden gesetzlichen Vorschriften sind so umfangreich und die Begriffe so ausdifferenziert, dass der Laie wie auch der nicht auf das Erbrecht spezialisierte Jurist Verständnisschwierigkeiten haben.
Das Erbrecht kennt wie kein anderes Gebiet des Zivilrechts eine Artenvielfalt von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, besondere Verfahrens- und Prozessverfahren mit immer häufiger auftretenden Fragen des internationalen Rechts, sei es infolge der Staatsangehörigkeit der Beteiligten, des Ortes des gewöhnlichen Aufenthalts oder der Vermögensgegenstände im Ausland. Hinzu kommt das Steuerrecht, insbesondere das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht.
Rz. 30
Die Unterschätzung der Schwierigkeiten führt allzu häufig dazu, dass eine Beratung unterbleibt oder diese nur sehr zurückhaltend eingeholt wird mit irreparablen Folgen nach dem Erbfall. Dann muss sich die anwaltliche Hilfe leider auf die Begrenzung des Schadens beschränken. Die erbrechtliche Beratung durch den Rechtsanwalt als Interessenvertreter ist für den Rechtsuchenden von anderer Qualität als die Belehrung und Beratung durch ein neutrales Rechtspflegeorgan.