Rz. 60
Tritt hingegen eine Interessenkollision erst im Laufe der Mandatsvertretung auf, beispielsweise durch die Annahme eines zweiten Mandats in derselben Rechtssache, soll diese nicht dazu führen, dass der Rechtsanwalt jeglichen Vergütungsanspruch verliert, sofern die Honoraransprüche vor der Pflichtverletzung entstanden sind. Der Verstoß gegen das berufsrechtliche Verbot begründet keine rückwirkende Nichtigkeit. Der Verstoß aus § 134 BGB i.V.m. § 43a Abs. 4 BRAO entfaltet nur eine "ex-nunc"-Wirkung. Daher bleiben dem Rechtsanwalt grundsätzlich die Vergütungsansprüche, die er vor dem Eintritt der Interessenkollision oder Änderung der Interessenlage der Partei verdient hat, zunächst erhalten.
Rz. 61
In welcher Höhe die Vergütung in diesen Fällen besteht, kann durch einen Rückgriff auf § 628 Abs. 1 S. 1 BGB beantwortet werden. Nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Verpflichtete einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen, wenn das Dienstverhältnis nach dem Beginn der Dienstleistung aufgrund des § 626 BGB oder des § 627 BGB gekündigt wird. Im Allgemeinen erfolgt die Berechnung auf der Grundlage einer pro rata temporis (lat. zeitanteilig) Berechnung. Kann dieser Anteil im Hinblick auf eine Zeitvergütung leicht errechnet werden, muss bei der Vergütung nach einem Festhonorar auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung von der vereinbarten Vergütung und der insgesamt vorgesehenen Tätigkeit festgestellt werden, welcher Anteil auf die bereits erbrachte Leistung des Rechtsanwalts entfällt.
Rz. 62
Sofern der Rechtsanwalt nach den gesetzlichen Gebühren abrechnet, wird § 628 BGB durch § 15 Abs. 4 RVG ergänzt. Gemäß § 15 Abs. 4 RVG ist es, soweit das RVG nichts anderes bestimmt, ohne Einfluss, wenn sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt oder der Auftrag endigt, bevor die Angelegenheit erledigt ist. Entsprechend sieht das RVG eine gesetzliche Regelung vor, wonach es grundsätzlich nicht zu einer Ermäßigung oder zum Wegfall der anwaltlichen Gebühren kommt, wenn die Angelegenheit, beispielsweise durch eine Kündigung wegen des Vorliegens widerstreitender Interessen, vorzeitig beendet wird.
Rz. 63
Die anwaltliche Vergütung kann aber gemäß § 628 Abs. 1 S. 2 BGB gekürzt werden, sofern die Kündigung aus der Sphäre des Rechtsanwalts stammt und sich ein Interessenfortfall seitens des Auftraggebers ergibt. Entsprechend steht dem Rechtsanwalt nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB ein Anspruch auf Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben, sofern der Rechtsanwalt kündigt, ohne durch ein vertragswidriges Verhalten des anderen Teils – des Auftraggebers – dazu veranlasst zu sein, oder der Rechtsanwalt durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teils – des Auftraggebers – veranlasst. Der Rechtsanwalt verliert nach ständiger Rechtsprechung seinen Vergütungsanspruch für bereits erbrachte Beratungsleistungen, sofern das Mandat infolge der Vertretung der widerstreitenden Interessen gekündigt und ein neuer Anwalt bestellt werden muss, für den die gleichen Gebühren nochmals entstehen. In welcher Höhe ein Interessenfortfall im Einzelnen für den Mandanten besteht, bestimmt sich daher anhand des tatsächlich entstandenen finanziellen Mehraufwands, der beispielsweise in der notwendigen Einarbeitung in das Mandat durch einen neu bestellten Rechtsanwalt liegen kann. Erfolgt die anwaltliche Abrechnung nach den gesetzlichen Gebühren, kann dem zuerst beauftragten Rechtsanwalt eine Teilvergütung wegen § 15 Abs. 4 RVG verbleiben, soweit die Gebühr nicht noch einmal anfällt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Gebührentatbestand, der bereits beim zuerst beauftragten Rechtsanwalt angefallen ist, nach der Beauftragung eines neuen Rechtsanwalts nicht erneut ausgelöst wird.
Rz. 64
Schließlich müssen zwei Punkte bei der Anwendbarkeit von § 628 Abs. 2 S. 1 BGB auf die Vertretung widerstreitender Interessen berücksichtigt werden:
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§ 628 Abs. 2 S. 1 BGB ist unabhängig davon anwendbar, ob der Anwalt das Mandat niederlegt oder der Mandant den Vertrag kündigt. Vielmehr ist für die Anwendung von § 628 Abs. 2 S. 1 BGB entscheidend, dass der Anwalt berufsrechtlich an der Fortführung des Mandats gehindert ist und dieser Beendigungsgrund allein in seiner Sphäre liegt. |
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§ 628 Abs. 2 S. 1 BGB ist auch in den Fällen anwendbar, in denen eine Kündigung trotz Wahrnehmung widerstreitender Interessen unterbleibt, weil dieser Umstand zunächst unbemerkt geblieben ist. |
Rz. 65
Hat sich der Rechtsanwalt vorsätzlich des Parteiverrats nach § 356 StGB schuldig gemacht, verliert er einen bereits verdienten Honoraranspruch. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 654 BGB.