Rz. 10
Für das erbrechtliche Mandat bildet das Verbot der Vertretung der widerstreitenden Interessen aus § 43a Abs. 4 BRAO einen Grundpfeiler der anwaltlichen Berufspflichten im Verhältnis zum Mandanten. In der alltäglichen Praxis ist es vielen Rechtsanwälten gerade bei der Vertretung von erbrechtlichen Mandanten nicht bewusst, dass eine Interessenkollision vorliegt, welche den Rechtsanwalt dazu zwingt, die Annahme des Mandats abzulehnen bzw. das angenommene Mandat insgesamt sofort niederzulegen. Eine empirische Studie aus dem Jahre 2011 führt das Problem vor Augen. Durchschnittlich mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den zurückliegenden drei Jahren fünf Mandate wegen einer Interessenkollision ablehnen. Aus diesem Grund soll im Folgenden zunächst das Verbot der widerstreitenden Interessen abstrakt unter Berücksichtigung seiner gebührenrechtlichen Folgen dargestellt werden, bevor mögliche Fallstricke im Erbrecht skizziert werden. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen aktuell vom Gesetzgeber in § 43a Abs. 4 BRAO reformiert wird. Der Bundestag hat die Reform jüngst verabschiedet und § 43a Abs. 4 BRAO neu gefasst und Abs. 5 und Abs. 6 neu eingeführt:
(4) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat. Das Tätigkeitsverbot gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 nicht tätig werden darf. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der nach Satz 1 ausgeschlossene Rechtsanwalt die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet. Die Sätze 2 und 3 sind nicht anzuwenden, wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information in Textform zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1, das gegenüber einer Berufsausübungsgesellschaft besteht, entfällt, wenn die Voraussetzungen des Satzes 4 erfüllt sind. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbots nach Satz 1 oder Satz 2 erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden.
(5) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für die Tätigkeit als Referendar im Vorbereitungsdienst im Rahmen der Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Absatz 4 Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn dem Tätigkeitsverbot nach Absatz 4 Satz 1 eine Tätigkeit als Referendar nach Satz 1 zugrunde liegt.
(6) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für ein berufliches Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätigwerden ein Tätigkeitsverbot nach Absatz 4 Satz 1 bestehen würde.“
Die BRAO-Reform ist am 12.7.2021 im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Sie tritt zum 1.8.2022 in Kraft.
a) Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen
Rz. 11
Nach § 43a Abs. 4 BRAO darf der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. § 3 Abs. 1 BORA konkretisiert das Verbot dahingehend, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er eine Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich befasst war. Als Generalklausel soll § 43a Abs. 4 BRAO dem Entstehen von Interessenkonflikten in der Person des Rechtsanwalts vorbeugen.
Rz. 12
Neben der Sicherstellung des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten soll die rechtsstaatliche Rechtspflege durch die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und der Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung gewährleistet werden. Diese Kriterien stehen nicht zur Disposition der Mandanten, vielmehr muss sich der Rechtsverkehr darauf verlassen können, dass die berufsrechtlichen Grundpflichten des § 43a BRAO berücksichtigt werden, damit die angestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger untereinander und gegenüber dem Staat gewahrt werden und die Rechtspflege funktionsfähig bleibt. Die anwaltlichen Aufgaben sollen durch einen unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt wahrgenommen werden. Der Rechtsanwalt, der sich zum Diener gegenläufiger Interessen macht, verliert daher jegliche unabhängige Sachwalterstellung im Dienste des Rechtssuchenden.
Rz. 13
Durch die Gewährleistung der rechtsstaatlichen Rechtspflege wird das geschützte Rechtsgut des § 356 StGB in die berufsrechtliche Grundpflicht übertragen. Nach § 356 StGB macht sich ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand strafbar, wenn er den Parteien bei den ihm anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient. Infolge der Einbez...