Rz. 34
Wie im vorherigen Abschnitt gesehen, spielt die anwaltliche Vor- und Nachbefassung für die Frage eines möglichen Tätigkeitsverbots ebenfalls eine entscheidende Rolle. Hier ist aber die unterschiedliche Ausrichtung der Normen zu berücksichtigen. Betrifft die Vorschrift von § 43a BRAO Fälle, in denen eine gleichzeitige oder vorangegangene anwaltliche Tätigkeit erfolgt ist, bezieht sich § 45 BRAO auf Fälle, in denen ein Rechtsanwalt mit derselben Rechtsangelegenheit bereits in anderer Funktion vor oder nach der anwaltlichen Mandatierung befasst war. Ein Rollenwechsel zwischen anwaltlicher und nicht anwaltlicher Tätigkeit soll von Gesetzes wegen verhindert werden.
Rz. 35
Die unterschiedliche Ausrichtung der Normen lässt sich weiterhin auch daran erkennen, dass die ständige Rechtsprechung betont hat, dass sich ein anwaltliches Tätigkeitsverbot aus § 43a Abs. 4 BRAO nur ableiten lässt, wenn ein konkreter Interessengegensatz gegeben ist. Das Anknüpfen an einen nur möglichen, im konkreten Verfahren tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt würde gegen das Übermaßverbot verstoßen und wäre deshalb verfassungsrechtlich unzulässig. Hingegen soll das Tätigkeitsverbot aus § 45 BRAO bereits abstrakt der Gefahr einer Interessenkollision vorbeugen. Mit anderen Worten: Es muss bei § 43a Abs. 4 BRAO ein tatsächlicher Interessenkonflikt vorliegen, wohingegen bei § 45 BRAO eine anwaltliche Vor- oder Nachbefassung ein Tätigkeitsverbot begründet.
Rz. 36
Die Tätigkeitsverbote spielen auch bei der Mandatsannahme in der erbrechtlichen Praxis grundsätzlich eine Rolle und können die erbrechtliche Vergütung gefährden.
Beispielsweise liegt ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO vor, wenn der Anwaltsnotar für einen Erblasser ein Testament notariell beurkundet und der übergangene spätere gesetzliche Erbe den Anwaltsnotar in seiner Funktion als Rechtsanwalt mit der Durchsetzung seiner Pflichtteilsansprüche beauftragt. So entschied der Anwaltsgerichtshof Schleswig, dass es sich bei einer letztwilligen Verfügung und den sich daraus nach dem Tod des Erblassers ergebenden rechtlichen Konsequenzen um dieselbe Rechtssache im Sinne von § 45 Abs. 1 BRAO handelte.
Gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO ist es dem Rechtsanwalt untersagt, in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war, als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion tätig zu werden. Trotz des eindeutigen Wortlauts der Norm hat das Oberlandesgericht Hamburg jüngst entschieden, dass das Tätigkeitsverbot aus § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO der Wirksamkeit einer Ernennung des Rechtsanwalts als Testamentsvollstrecker nicht entgegensteht, wenn der Erblasser den Rechtsanwalt in dessen Funktion als Gegenvertreter kennen und schätzen gelernt hat und ihn dennoch zu seinem Testamentsvollstrecker bestimmt. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts ist die grundrechtlich geschützte Testierfreiheit vorrangig vor der Norm des § 45 Abs. 2 BRAO zu berücksichtigen.
Zitat
"Dennoch und obwohl das Verbot für den Rechtsanwalt, das Testamentsvollstreckeramt zu übernehmen, ausdrücklich als eine der Alternativen im § 45 BRAO genannt ist, ist ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit, die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Testamentsvollstrecker zu verhindern, jedenfalls nicht erkennbar, wenn der Erblasser selbst den Rechtsanwalt aufgrund einer bewussten Entscheidung zum Testamentsvollstrecker ernennt, obwohl und gerade weil er den Rechtsanwalt als Gegner kennen- und schätzen gelernt hat."
Abschließend darf auf den Aufsatz von Henssler dazu verwiesen werden, inwieweit eine Vorbefassung eines Referendars unter Berücksichtigung der BRAO-Reform 2021 unter § 45 BRAO fällt. § 45 BRAO ist ebenfalls reformiert worden.