Rz. 80
Neben der Vertretung von Miterben oder Pflichtteilsberechtigten gehört zu den alltäglichen Aufgaben des Rechtsanwalts für Erbrecht die Beratung von Ehegatten bei der Errichtung und Gestaltung eines gemeinschaftlichen Testaments oder eines Erbvertrags. In den meisten Fällen werden die Ehegatten bereits eine gemeinsame Entscheidung über die Verteilung von Erbquoten, die Anordnung von Vermächtnissen, über eine mögliche Vor- und Nacherbschaft oder die Testamentsvollstreckung getroffen haben. Insoweit darf auch der Rechtsanwalt von Entscheidungen im gemeinsamen Interesse ausgehen. In vielen Fällen treten aber im Rahmen der fachgerechten Beratung und Gestaltung durch den Rechtsanwalt Streitfragen zwischen den Ehegatten auf. Diese Streitfragen können im schlimmsten Fall zu einer Interessenkollision führen, die den Rechtsanwalt zur sofortigen Niederlegung des Mandats zwingt.
Rz. 81
Eine solche Interessenkollision kann in dem Fall vorliegen, in dem sich die Ehegatten über die Änderung einer bereits gemeinschaftlich getroffenen letztwilligen Verfügung beraten lassen. Sofern hier nur einer der Ehegatten auf die Änderung drängt, der andere Ehegatte die frühere Regelung aber für ausreichend hält und sich gegen die Änderung wehrt, liegt der Interessengegensatz offenkundig vor, der den Rechtsanwalt zum Handeln verpflichtet. Weitere beliebte Fälle für eine Interessenkollision bei der Beratung und Gestaltung eines Testaments stellen die Wiederverheiratungsklausel, die Wechselbezüglichkeit, die Abänderungsbefugnis, die Erbeinsetzung bzw. Gewährung von Pflichtteilsansprüchen von Abkömmlingen aus einer früheren Ehe oder Partnerschaft eines Ehegatten dar. Insbesondere im Fall der Wiederverheiratungsklausel wird es nicht im Interesse des anderen Ehegatten sein, dass das Familienvermögen durch eine spätere Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten an dessen neuen Partner abfließt und den gemeinsamen Kindern dadurch teilweise entzogen wird.
Rz. 82
Bei der Beratung und Gestaltung eines Testaments muss aber gegenüber der anwaltlichen Vertretung von mehreren Miterben einer Erbengemeinschaft oder mehreren Pflichtteilsberechtigten im Hinblick auf die Interessenkollision beachtet werden, dass dem Rechtsanwalt ein größerer Gestaltungsspielraum eingeräumt wird. Sollte im Rahmen der Beratung eine Streitfrage zwischen den Ehegatten auftreten, darf der Rechtsanwalt – ohne Partei für einen Mandanten zu ergreifen – die Vor- und Nachteile einer solchen Regelung darstellen. Der Rechtsanwalt kann mit dem nötigen Fingerspitzengefühl bei einer entsprechenden Darstellung der Gestaltungsmöglichkeiten der jeweiligen Regelung, eine Einigung zwischen den Ehegatten erzielen, sofern sich der Wille und die Gestaltungswünsche des jeweiligen Ehegatten tatsächlich in der einzelnen Regelung widerspiegeln. Sollte eine einvernehmliche Regelung hingegen nicht erzielt werden, ist der Rechtsanwalt zur Mandatsniederlegung verpflichtet. Ein Einverständnis der Mandanten lässt den Interessenwiderstreit nicht entfallen, sofern nicht die Voraussetzungen von § 3 Abs. 2 S. 2 BORA erfüllt sind (vgl. Rdn 37 ff.).
Rz. 83
Uricher empfiehlt, dass der Anwalt einen ausdrücklichen Hinweis auf die vorgenannte Situation und die mögliche Interessenkollision gibt. Hierzu kann das nachstehende Musterformular von Uricher verwendet werden.
Rz. 84
Muster 1.1: Aufklärung über Interessenkollision
Muster 1.1: Aufklärung über Interessenkollision
Die Eheleute _________________________ haben Herrn Rechtsanwalt _________________________ beauftragt, einen Entwurf eines gemeinschaftlichen Testaments nach deren Vorstellungen zu fertigen.
Die Eheleute wurden von Herrn Rechtsanwalt _________________________ über eine mögliche Interessenkollision aufgeklärt und es wurde ihnen ausführlich der Tatbestand des Parteiverrats (§ 356 StGB) und des § 43a Abs. 4 BRAO erläutert. Es wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass es bei der Frage der Wiederverheiratungsklausel oder der Frage der Bindungswirkung einer letztwilligen Verfügung, häufig zu unterschiedlichen Auffassungen unter den Ehepartnern kommen kann.
Die Eheleute wurden darüber aufgeklärt, dass Herr Rechtsanwalt _________________________ das Mandat für beide Partner niederlegen muss, wenn sich trotz anfänglichem Einvernehmen später widerstreitende Interessen ergeben.
Die Eheleute wurden darauf hingewiesen, dass im Falle einer Niederlegung des Mandates durch den Anwalt aufgrund einer Interessenkollision der Gebührenanspruch bestehen bleibt, was mit nachfolgender Unterschrift bestätigt und ausdrücklich vereinbart wird.
_________________________ |
_________________________ |
Unterschrift Ehepartner |
Unterschrift Rechtsanwalt |
Rz. 85
Sollte der Rechtsanwalt die Ehegatten bei der Errichtung eines Ehegattentestaments ohne Interessenkollision vertreten haben, ist es ihm im Anschluss daran verboten, dass er einem Ehegatten – auch nicht nach dem Tod des anderen Ehegatten – Rat darüber erteilt, wie er sich von dem gemeinsamen Te...