Rz. 30
Für den Interessenwiderstreit in derselben Rechtssache muss der Rechtsanwalt als Interessenvertreter beider Parteien tätig werden. Der Begriff der Vertretung im Sinne von § 43a Abs. 4 BRAO ist im weitesten Sinne zu verstehen und beschränkt sich nicht auf eine Vertretung nach außen, wodurch jedes Dienen durch Rat oder Beistand des Rechtsanwalts erfasst wird. Unter den Begriff fällt jede rechtsbesorgende anwaltliche Berufsausübung.
Rz. 31
Durch das weite Verständnis des Tatbestandsmerkmals ist auch eine Vorbefassung des Rechtsanwalts für die Frage maßgeblich, ob der Rechtsanwalt als Interessenvertreter beider Parteien tätig geworden ist. Grundsätzlich werden hier zunächst alle vorangegangenen anwaltlichen Berufstätigkeiten erfasst, d.h. alle Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten vorgenommen hat. Ausgenommen hiervon wird eine private Vorbefassung des Rechtsanwalts. Weiterhin sollen Handlungen des Rechtsanwalts im Vorfeld eines Mandats, wo ein Mandatsvertrag noch nicht geschlossen ist, wie allgemeine Auskünfte (etwa zu Zuständigkeiten, Rechtsmittelfristen oder der Höhe potenzieller Kosten), nach wohl h.M. eine anwaltliche Vorbefassung nicht begründen. An dieser Stelle ist aber Vorsicht geboten, da die Grenze zwischen einer allgemeinen Auskunft und einer inhaltlichen Beratung fließend ist sowie noch nicht höchstrichterlich geklärt worden ist, ob die Anwendbarkeit von § 43a Abs. 4 BRAO davon abhängig ist, dass zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten ein Vertrag zustande gekommen ist. Unter die anwaltliche Vorbefassung fallen zukünftig auch ausdrücklich Tätigkeiten, die der spätere Rechtsanwalt zuvor als Referendar im Rahmen der Ausbildung beim Rechtsanwalt vollzogen hat. Der Bundestag hat die Einführung von § 43a Abs. 5 BRAO beschlossen, der im Bundesgesetzblatt verkündet und wie folgt gefasst wurde:
Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für die Tätigkeit als Referendar im Vorbereitungsdienst im Rahmen der Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Absatz 4 Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn dem Tätigkeitsverbot nach Absatz 4 Satz 1 eine Tätigkeit als Referendar nach Satz 1 zugrunde liegt.“
Rz. 32
Umstritten bleibt bei der Frage nach der Vorbefassung aber, ob das Verbot der widerstreitenden Interessen nur bei vorangegangener anwaltlicher Tätigkeit einschlägig ist oder ob auch eine andere Art der beruflichen Vorbefassung bereits ausreicht.
Eine Ansicht sprach sich dafür aus, dass eine nicht dem Kernbereich anwaltlicher Berufsausübung zuzuordnende Tätigkeit ausreicht, um das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO auszulösen. Sie stützte sich u.a. auf den Wortlaut von § 43a Abs. 4 BRAO, der eine Einschränkung auf den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit nicht ausdrücklich nennt, sowie auf § 45 BRAO, der keinen ausreichenden Schutz bieten würde. Die Gegenansicht vertrat demgegenüber, dass es sich sowohl bei der Vorbefassung als auch bei der nachfolgenden Tätigkeit um eine anwaltliche Berufsausübung im engeren Sinne handeln müsse. Hierfür spreche das systematische Verhältnis zu § 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 BRAO, der die Tätigkeiten außerhalb der anwaltlichen Beratung betreffe.
Rz. 33
Der Bundesgerichtshof hat jüngst entschieden, dass der Rechtsanwalt bei beiden Tätigkeiten im Kernbereich der rechtsbesorgenden anwaltlichen Berufsausübung handeln muss. Entsprechend hat er sich der oben zuletzt genannten Auffassung mit folgender Begründung angeschlossen:
Zitat
"(...) § 43a Abs. 4 BRAO steht in einem unmittelbaren systematischen Zusammenhang mit den anderen in § 43a BRAO geregelten Grundpflichten des Rechtsanwalts, welche die in § 43 BRAO beschriebene allgemeine Berufspflicht konkretisieren und ergänzen. Grundlage dieser Pflichten sind die Aufgaben des Rechtsanwalts im System der Rechtspflege und das Vertrauensverhältnis zum Mandanten. Dementsprechend erfasst die Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 Satz 2 BRAO alles, aber auch nur das, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist. Auch das Verbot unsachlichen Verhaltens nach § 43a Abs. 3 BRAO bezieht sich auf die anwaltliche "Berufsausübung". Der systematische Zusammenhang mit diesen anderen Grundpflichten und die gemeinsame Zweckrichtung sprechen gegen eine Anwendung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO auf Tätigkeiten jenseits des (Kern-)Bereichs der rechtsbesorgenden anwaltlichen Berufsausübung. Dies bestätigt auch der Blick auf die Regelung gesonderter Verbote für Tätigkeiten außerhalb des Anwaltsberufs in § 45 BRAO; insbesondere die Verbote nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 2 BRAO wären weitestgehend entbehrlich, wenn das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO nicht auf den Kernbereich der Anwaltstätigkeit beschränkt wäre."
Die Entscheidung ist überwiegend begrüßt, aber auch kritisiert worden. Der Bundesgerichtshof hat mit dem Begriff "Kernbereich" wiederum eine unscharfe Formulierung gewählt, die...