Rz. 68
Besonders das erbrechtliche Mandat ist für eine Interessenkollision im Hinblick auf die Beratung von Ehegatten bei der Gestaltung eines gemeinschaftlichen Testaments bzw. Ehegattenerbvertrags, der Vertretung von Miterben oder der Vertretung mehrerer Pflichtteilsberechtigter anfällig. Bei der Vertretung von mehreren Miterben oder Pflichtteilsberechtigter, die das gemeinsame Ziel einer Erbauseinandersetzung bzw. einer Durchsetzung ihrer Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche haben, ist die Gefahr von gegenläufigen Interessen trotz des Bestehens eines gemeinsamen Interesses nicht zu unterschätzen.
Rz. 69
Der erfolgreiche Abschluss des erbrechtlichen Mandats hängt im Einzelfall von einer sorgfältigen Prüfung einer möglichen Interessenkollision ab. Dabei sollte der Rechtsanwalt sich nicht nur auf eine umfangreiche Prüfung der gegenläufigen Interessen bei der Annahme des Mandats beschränken, sondern auch zwischenzeitliche Kontrollen einplanen, inwieweit die subjektiv zu bestimmenden Interessen der vertretenen Mandanten auf das gleiche Ziel gerichtet sind. Grundsätzlich darf der Rechtsanwalt zwar auf die Angaben seiner Auftraggeber vertrauen, sollte aber dennoch zur Sicherheit kontinuierlich die übereinstimmenden Interessen der vertretenen Mandanten kontrollieren. Es gilt der Grundsatz, dass Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist.
Rz. 70
Die sorgfältige Kontrolle kann über den Verlust aller Gebührenansprüche und die Rückerstattung etwaig gezahlter Vorschüsse bei sofortiger Mandatsniederlegung entscheiden. Dem Rechtsanwalt im erbrechtlichen Mandat ist daher eine wiederholende Kontrolle insbesondere bei länger andauernden Mandaten zu raten, da das Damoklesschwert der Interessenkollision während der gesamten Dauer des erbrechtlichen Mandats über einer erfolgreichen Gebührenabrechnung schwebt.
aa) Interessenkollision bei der Erbengemeinschaft
Rz. 71
Relativ häufig wird der Rechtsanwalt mit der Vertretung mehrerer Miterben beauftragt, die das gemeinsame Ziel einer Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft haben. Zu Beginn des Mandats werden die Mandanten häufig die schnellstmögliche Erbauseinandersetzung anstreben. Dabei muss der Rechtsanwalt für Erbrecht, eine Interessenkollision nicht von vornherein fürchten, solange es um Ansprüche der Erbengemeinschaft gegen Dritte oder die Abwehr von Pflichtteilsansprüchen gegen die Erbengemeinschaft geht. Entsprechend soll auf die bereits benannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs verwiesen werden, die auf das Erbrecht und die Erbengemeinschaft ohne weiteres übertragen werden kann (vgl. Rdn 29). Die bloß latente Möglichkeit eines Interessenwiderstreits zwischen den Miterben erfüllt nicht automatisch die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 43a BRAO.
Rz. 72
Dennoch muss die Vertretung von mehreren Miterben als Brennpunkt eines möglichen Interessenwiderstreits angesehen werden, sofern die Miterben im Innenverhältnis unterschiedliche Ansichten haben. Daher wird die Freude des Rechtsanwalts über die Annahme eines neuen Mandats nur kurz bestehen, sofern er eine sorgfältige Prüfung einer Interessenkollision unterlassen hat. Schnell kann zwischen den Miterben Streit darüber entstehen, welche Tochter oder welcher Sohn eine Zuwendung von dem Erblasser zu Lebzeiten erhalten hat. Die Schwelle zur Vertretung gegenläufiger Interessen ist hier durch eine Änderung der Interessen der Miterben niedrig. Daher stellt beispielsweise die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach den §§ 2050 ff. BGB einen Hauptanwendungsfall der Interessenkollision bei der Vertretung mehrerer Miterben dar. Weiterhin können Auslegungsschwierigkeiten von testamentarischen Verfügungen einen Interessenwiderstreit begünstigen. Exemplarisch kann hier die Abgrenzung zwischen Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis genannt werden.
Beispiel
Die Parteien waren Geschwister und Miterben nach der verstorbenen Erblasserin. Der Vater war vorverstorben. Die Erblasserin hat in ihrem Testament verfügt, dass man der Klägerin, der Tochter der Erblasserin, das Hausgrundstück gebe. Die Parteien stritten darüber, ob es sich bei der testamentarischen Verfügung um ein Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung handelt. Das Gericht entschied, dass es sich bei der Verfügung um eine Teilungsanordnung handelte.
"Für die Abgrenzung zwischen Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis ist darauf abzustellen, ob die Erblasserin die Kl. mit der Zuweisung des Hausgrundstücks "wertmäßig begünstigen", ihr nämlich das Grundstück zusätzlich zu ihrem Erbteil zukommen lassen wollte. Der Erblasser kann einem (oder einzelnen) seiner Miterben Gegenstände zuweisen, deren Wert höher ist, als diesem seiner Quote nach bei der Auseinandersetzung zukäme. In einer solchen Lage stellt sich die Frage, ob der Mehrbetrag (Mehrwert) zusätzlich zu dem Erbteil zugewendet sein soll. Ist dies der Fall, dann handelt es sich (jedenfalls wegen des Mehrwerts) nicht (nur) um eine Teilungsanordnung, sondern (auch) um ein Vorausvermächtnis. Ist der Verfügung von Todes wegen eine entsprechende (zusätzlic...