Rz. 88
Ein Verstoß gegen das Verbot der widerstreitenden Interessen aus § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA bzw. § 356 StGB kann durch eine umfassende und sorgfältige Prüfung der Interessen der Mandanten sowohl bei der Annahme als auch bei der Beratung oder Vertretung im erbrechtlichen Mandat vermieden werden. Der Rechtsanwalt für Erbrecht sollte sich bei der Prüfung der Interessenkollision an folgendem Fragenkatalog orientieren:
▪ |
Wird der Rechtsanwalt beruflich oder wirtschaftlich tätig? |
▪ |
Liegt dieselbe Rechtssache vor, handelt es sich daher um einen zumindest teilweise identischen Lebenssachverhalt? |
▪ |
Wird der Rechtsanwalt für beide Parteien tätig? |
▪ |
Haben die beteiligten Parteien widerstreitende Interessen? |
▪ |
Wird das Vertrauen in die Rechtspflege oder zum Mandanten verletzt (§ 1 Abs. 2, 3 BORA)? |
▪ |
Bestehen bei der Vertretung von Miterben einer Erbengemeinschaft zwischen den Miterben Ausgleichsansprüche? |
▪ |
Bestehen bei der Vertretung mehrerer Pflichtteilsberechtigter Ausgleichspflichten oder anrechenbare Vorempfänge? |
▪ |
Besteht für den Rechtsanwalt bei der Gestaltung und Errichtung eines Ehegattentestaments ein größerer Gestaltungsspielraum? |
▪ |
Wird der Ausschluss eines Einverständnisses in die Vertretung von widerstreitenden Interessen bei einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft ausgeschlossen? |
▪ |
Sollte die vorherige Frage positiv beantwortet werden: Wurde der Mandant umfassend informiert und stehen Belange der Rechtspflege entgegen? |
Rz. 89
Ein Verstoß gegen das Verbot führt zu einem ganzen Bündel von Rechtsfolgen. Neben der Ablehnung oder Beendigung des Mandats bzw. der Mandate können dem Rechtsanwalt bei vorsätzlichem Handeln strafrechtliche Konsequenzen drohen. Daneben drohen ihm berufsrechtliche sowie gebührenrechtliche Folgen, die bis zum Verlust aller Gebührenansprüche führen können. Im Erbrecht ist die Schwelle für das Vorliegen widerstreitender Interessen niedrig. Es kann dem Rechtsanwalt für Erbrecht geraten werden, dass er, insbesondere bei Erbengemeinschaften oder Pflichtteilsberechtigten, im Einzelfall eine Mehrvertretung ablehnt, um zumindest einen Gebührenanspruch für sich zu verdienen. In jedem Fall ist eine sorgfältige und wiederholende Prüfung der Interessen der Mandanten anzuraten.
Abschließend wird in der Literatur empfohlen, einen Expertenrat – den Rat der zuständigen Rechtsanwaltskammer oder eines auf Berufsrecht spezialisierten Kollegen – einzuholen. Dies kann beispielsweise bei einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Parteiverrats nach § 356 StGB zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB führen. Der Bundesgerichtshof stellt aber strenge Voraussetzungen an einen Expertenrat in diesem Sinne:
Zitat
"Ein Verbotsirrtum ist im Sinne von § 17 Satz 1 StGB unvermeidbar, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte. Im Zweifel trifft ihn eine Erkundigungspflicht. Für jemanden, der im Geschäftsleben steht, ist kaum jemals ein Irrtum über das Bestehen eines Schutzgesetzes unvermeidbar, das für seinen Arbeitsbereich erlassen wurde, weil jeder im Rahmen seines Wirkungskreises verpflichtet ist, sich über das Bestehen von Schutzgesetzen zu unterrichten. Etwa aufkommende Zweifel sind erforderlichenfalls durch Einholung einer verlässlichen und sachkundigen Auskunft zu beseitigen. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher ist zum Beispiel seine berufliche Stellung zu berücksichtigen. Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf de...