Rz. 35
Für die Bearbeitung einer Nachlasspflegschaft sind Kenntnisse der verfahrensrechtlichen Regelungen erforderlich. Seit dem 1.9.2009 ist das Verfahren im "Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)" geregelt. Das FamFG hat das bis dahin geltende FGG abgelöst. Allerdings kann es wegen der Übergangsregelung vorkommen, dass die Regelungen des FGG im Einzelfall Anwendung finden (vgl. Rdn 37).
1. Überblick über das FamFG
a) Allgemeines
Rz. 36
Nach den Motiven des Gesetzgebers sollen mit dem FamFG unter anderem die nachfolgenden Ziele erreicht werden:
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"Auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit eine vollständige, moderne, rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Ordnung des Verfahrens zu schaffen, über die die anderen Zweige der Gerichtsbarkeit bereits verfügen." |
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"Eine möglichst hohe Flexibilisierung wird erreicht durch weitgehende Formlosigkeit des Verfahrens und freie gerichtliche Kompetenz zur individuellen Verfahrensgestaltung." |
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"Die Rechtsstaatlichkeit erfordert demgegenüber die Bindung der gerichtlichen Gestaltungskompetenz an das Gesetz und ihre Kontrolle und Begrenzung durch Mitwirkungsbefugnisse der Verfahrensbeteiligten." |
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"Es ist daher eine Verfahrensordnung zu schaffen, die in nichtstreitig verlaufenden Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine einfache und rasche Erledigung erlaubt, für streitig verlaufende Angelegenheiten aber die Beachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien sicherstellt." |
Es hängt vom Standpunkt des Betrachters ab, ob der Gesetzgeber – aus heutiger Sicht – diese Ziele auch tatsächlich erreicht hat.
Der zum Rechtsanwender berufene Pfleger dürfte die "weitgehende Formlosigkeit des Verfahrens" und die "einfache und rasche Erledigung" eher kritisch betrachten.
Obwohl die Notwendigkeit der "Mitwirkungsbefugnisse der Verfahrensbeteiligten" gesehen wird, müssen dennoch die Probleme bei der Bekanntmachung nach § 42 Abs. 3 FamFG gelöst werden, damit Gerichte, Notare und bestellte Pfleger rechtssicher arbeiten können.
b) Übergangsregelung
Rz. 37
Die Verfahrensordnung des FGG gilt weiterhin für die "Altfälle". Der Gesetzgeber hat keinen Stichtag für die Geltung des neuen Rechts nach dem FamFG eingeführt, sondern eine Übergangsregelung mit Art. 111 FGG-RG geschaffen. So gilt für bereits anhängige Verfahren das bisherige Recht fort. Auf Jahre hinaus wird es damit ein Nebeneinander von altem und neuem Verfahrensrecht geben.
Beispiel
Ein Erbschein wird am 31.8.2009 beantragt. Das Verfahren richtet sich insgesamt nach dem alten Recht des FGG, unabhängig davon, wann der Erbschein erteilt wird. Auch das Beschwerdeverfahren richtet sich nach dem alten Recht, auch wenn es nach dem 1.9.2009 eingeleitet wurde.
Beispiel
Eine Nachlasspflegschaft wird vor dem 1.9.2009 eingeleitet und ein Nachlasspfleger wird bestellt. Am 30.11.2010 geht bei dem Nachlassgericht ein Vergütungsantrag des Nachlasspflegers ein. Das Verfahren über die Entscheidung der Vergütung richtet sich nach dem FamFG, da der Antrag auf Festsetzung der Vergütung ein selbstständiges Verfahren einleitet. Legen später aufgefundene Erben gegen die Anordnung der Nachlasspflegschaft Beschwerde ein, richtet sich dieses Beschwerdeverfahren nach den Regelungen des FGG.
Rz. 38
Das falsche Verständnis für diese Rechtssituation kann zu einem Haftungsfall führen. An dieser Stelle sei nur auf die Entscheidung des BGH vom 3.11.2010 verwiesen. Dort führt der BGH im dritten Leitsatz aus: "Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über das nach dem FGG-Reformgesetz in Übergangsfällen anwendbare Verfahrensrecht ist jedenfalls dann nicht unverschuldet, wenn er entgegen einer von der Mehrheit in der Literatur und einer ersten veröffentlichten Entscheidung eines Oberlandesgerichts vertretenen Rechtsansicht von der Anwendbarkeit des neuen Rechts ausgeht."
c) Betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen
Rz. 39
Das FamFG kennt nur noch das Familiengericht und das Betreuungsgericht. Das Vormundschaftsgericht wurde aufgelöst. Die Aufgaben des Vormundschaftsgerichts wurden aufgeteilt auf das Familiengericht und das Betreuungsgericht. Die dem Betreuungsgericht zufallenden Aufgaben des Vormundschaftsgerichts nennt das FamFG nunmehr betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen (§ 340 FamFG).
Rz. 40
Auch die Nachlasspflegschaft soll als betreuungsgerichtliche Zuweisungssache nach § 340 Nr. 1 FamFG – obwohl in § 340 FamFG nicht ausdrücklich genannt – gelten. Eine Einbeziehung als betreuungsgerichtliche Zuweisungssache soll über die Begrifflichkeit der "Pflegschaft" in § 340 Abs. 1 Nr. 2 FamFG erfolge...