Rz. 119

Die grundsätzlich vollumfängliche Vertretungsmacht der Eltern wird in mehreren Fällen durch das Gesetz eingeschränkt, um in höchstpersönlichen Angelegenheiten des heranreifenden Kindes dessen Willen berücksichtigen zu können oder die Verletzung von Kindesinteressen zu verhindern.

a) Vorgezogene Teilmündigkeit

 

Rz. 120

Der Entwicklungsreife des Kindes entsprechend, kann dieses bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres bestimmte Rechtshandlungen alleine vornehmen. Dazu gehören etwa

die eigenverantwortliche Wahl eines Glaubensbekenntnisses (§ 5 S. 1 RKEG) mit vollendetem 14. Lebensjahr,[464]
die Zustimmung zur Adoption mit vollendetem 14. Lebensjahr (§ 1746 Abs. 1 S. 2 BGB),
der Widerspruch gegen die Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil mit vollendetem 14. Lebensjahr (§ 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB),
die Testierfähigkeit mit vollendetem 16. Lebensjahr (§ 2229 BGB),
das Vetorecht des über eine ausreichende Urteilsfähigkeit verfügenden Kindes bei einem nur relativ indizierten medizinischen Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für seine künftige Lebensgestaltung (siehe auch Rdn 101 ff.).[465]
[464] Zur Reichweite des Bestimmungsrechts des Vormundes über die religiöse Erziehung des Kindes und das diesbezügliche familiengerichtliche Verfahren siehe §§ 3, 7 RKEG und dazu OLG Hamm NZFam 2016, 671; OLG ­Koblenz ZKJ 2014, 291, jurisOLG Düsseldorf FamRZ 2013, 140; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 1.7.2010 – 6 UF 62/10 m.w.N. (n.v.); DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2014, 521.

b) Einschränkung bei Pflegerbestellung (§ 1630 Abs. 1 BGB)

 

Rz. 121

Die Eltern sind von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen, soweit für eine bestimmte Angelegenheit oder einen Kreis von Angelegenheiten ein Pfleger bestellt wurde. In diesem Umfang ist der Pfleger allein vertretungsberechtigt. Haben die Eltern trotz der bestehenden Einschränkungen Handlungen für das Kind vorgenommen, so kann dieser Mangel rückwirkend durch Genehmigung des Pflegers geheilt werden.

c) Erwerbsgeschäft (§ 112 BGB) und Dienstverhältnis (§ 113 BGB)

 

Rz. 122

Die gesetzliche Vertretung für einen Minderjährigen ist in dem Umfang ausgeschlossen, in dem er zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts (§ 112 BGB) oder zur Eingehung eines Dienstverhältnisses (§ 113 BGB) berechtigt ist und damit in diesem Geschäftskreis als unbeschränkt geschäftsfähig behandelt wird. In diesem Rahmen ruht die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters.[466] Parallel dazu erweitert sich die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen, dieser wird für eine bestimmte Art von Geschäften als unbeschränkt geschäfts- und prozessfähig angesehen (§ 52 ZPO). Ausgenommen hiervon sind aber Geschäfte zu denen der gesetzliche Vertreter selbst der gerichtlichen Genehmigung bedürfte; das sind die in §§ 1643, 1821 ff. BGB genannten.[467] Besonderes Augenmerk ist darauf zu richten, dass die sich aus § 1629a BGB dem Grunde nach ergebende Beschränkung der Minderjährigenhaftung nicht für Verbindlichkeiten aus dem selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gilt, wenn der Minderjährige hierzu nach § 112 BGB ermächtigt war (§ 1629a Abs. 2 BGB).

[466] Palandt/Heinrichs, § 112 BGB Rn 1.
[467] Zur Reichweite familiengerichtlicher Genehmigungstatbestände im Unternehmensrecht siehe Flume, FamRZ 2016, 277.

d) Genehmigungsbedürftige Geschäfte

 

Rz. 123

Im Zusammenhang mit besonders wichtigen oder riskanten Geschäften bedarf es zur Legitimation des gesetzlichen Vertreters einer gesonderten gerichtlichen Genehmigung. § 1643 BGB ist zwingendes Recht, wobei ein Elternteil den dort genannten Beschränkungen aber nur unterliegt, wenn er als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen auftritt. Davon ist etwa dann nicht auszugehen, wenn sich eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus den Eltern und dem minderjährigen Kind zusammensetzt. In diesem Fall erfolgt die Vertretung des Minderjährigen durch den Elternteil als Bevollmächtigter der Gesellschaft.[468]

 

Rz. 124

Entscheidungsmaßstab für die gerichtliche Genehmigungsentscheidung ist allein das Kindeswohl.[469] Neben dessen finanziellen Interessen muss das Gericht im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung die Frage beantworten, ob unter Abwägung aller Umstände das Geschäft im Interesse des Kindes liegt.[470]

 

Rz. 125

Zentrale Zielrichtung des § 1643 BGB ist der Schutz der Vermögensinteressen des Minderjährigen. Es soll sichergestellt werden, dass er in die Volljährigkeit nicht mit einer Schuldenbelastung startet, die die Eltern in Ausübung ihrer Vertretungsmacht begründet haben. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung soll dem volljährig gewordenen Kind Raum bleiben, um sein weiteres Leben ohne unzumutbare Belastungen, für die es nicht selbst verantwortlich ist, gestalten zu können.[471] Eingedenk dieser besonderen Schutzwürdigkeit wurde durch das zum 1.1.1999 in Kraft getretene Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz[472] § 1629a BGB eingeführt, um volljährig gewordene Kinder vor einer als Folge der gesetzlichen Vertretung während ihrer Minderjährigkeit eingetretenen Überschuldung zu schützen.[473]

 

Rz. 126

Die wichtigsten genehmigungsbedürftigen Geschäfte ergeben sich aus der Verweisung in § 1643 Abs...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge