Rz. 392

Von Verfassungs wegen haben die Verfahrensbeteiligten einen Anspruch auf Verfahrensförderung durch das Gericht und Klärung strittiger Fragen in angemessener Zeit.[1384] Erfasst hiervon sind nicht nur Eilverfahren,[1385] sondern auch Hauptsacheverfahren.[1386] Dieser Grundsatz ist Teil des in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3 GG verbrieften Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz, der durch das Kindeswohl weitere Verstärkung erfährt.[1387] Jede Verfahrensverzögerung ist nicht nur dem Kindeswohl abträglich,[1388] sondern kann – je nach den Einzelfallumständen – auch verfahrensrechtlich einen Befangenheitsgrund nach § 6 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO darstellen (zur Beschleunigungsrüge und -beschwerde siehe § 9 Rdn 84).[1389] In Kindschaftssachen soll die rechtliche Situation der Verfahrensbeteiligten möglichst kurzfristig verbindlich geklärt und damit insbesondere auch das Kind aus der Unsicherheit eines länger dauernden gerichtlichen Verfahrens gelöst werden.[1390] Solche Verfahren betreffen die Betei­ligten persönlich intensiv; außerdem entspricht das kindliche Zeitempfinden nicht dem Er­wachsener, was eine besondere Sensibilität für den Aspekt der Verfahrensdauer erforderlich macht.[1391] Kleinere Kinder empfinden, bezogen auf objektive Zeitspannen, den Verlust einer Bezugsperson – anders als ältere Kinder oder gar Erwachsene – schneller als endgültig. In diesen Fällen ist die Gefahr der Entfremdung zwischen Eltern und Kind, die für das Verfahren Fakten schaffen kann, besonders groß, so dass eine besondere Sensibilität für die Verfahrensdauer erforderlich ist. Ansonsten kann allein durch Zeitablauf die Sachentscheidung faktisch präjudiziert werden.[1392] Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 115 Abs. 1 FamFG wird ab dem demnächst in Kraft tretenden Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit[1393] durch die neu geschaffenen Beschleunigungsrechtsbehelfe abgesichert (siehe dazu eingehend § 9 Rdn 84).

 

Rz. 393

Dieser besonderen Problematik hat der Gesetzgeber mit dem in § 155 FamFG ausdrücklich statuierten Vorrang- und Beschleunigungsgebot[1394] Rechnung getragen. Kindschaftssachen, die den Aufenthalt, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, aber auch Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls sind vorrangig und beschleunigt zu betreiben. Hierzu gehört, dass ein Termin zur mündlichen Erörterung spätestens einen Monat nach Einleitung des Verfahrens stattzufinden hat (§ 155 Abs. 2 S. 1 FamFG) und dessen Verlegung auch nur aus zwingenden Gründen zulässig ist. Ebenso wenig darf ein Sorgerechtsverfahren wegen fehlender Mitwirkung eines Beteiligten[1395] an der Sachverhaltsaufklärung nach § 21 FamFG ausgesetzt werden.[1396]

[1385] OLG Hamm FamRZ 1999, 936.
[1387] BVerfG FamRZ 2002, 947; 2000, 413.
[1388] BVerfG FamRZ 2009, 189; Besprechung Völker/Clausius, FF 2009, 54.
[1390] Zum Beschleunigungsgebot sehr lesenswert Salgo, FF 2010, 352.
[1392] BGH FamRZ 2014, 933; siehe auch Ergebnis 3 des Arbeitskreises 22 des 21. Deutschen Familiengerichtstages.
[1393] Siehe dazu den Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 18/9092 und das Plenarprot. 18/183, S. 18130 der ­Sitzung des Deutschen Bundestages vom 7.7.2016; siehe auch BT-Drucks 18/6985 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); abrufbar ferner https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/Formulierungshilfe_Aenderung_Sachverstaendigenrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (Formulierungshilfe der Bundesregierung für einen Änderungsantrag der Fraktionen CDU, CSU und SPD).
[1394] Zum Beschleunigungsgebot Salgo, FF 2010, 352; siehe auch Schmid, FPR 2011, 5.
[1395] Zu den Mitwirkungspflichten bei der Beweisaufnahme in Familiensachen siehe Bohnert, NZFam 2014, 107.
[1396] OLG Köln FamRZ 2013, 719.

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