Rz. 79

Aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt – verfassungsunmittelbar[272] – der gegen die Eltern (S. 1) und die Gesellschaft (S. 2) insgesamt gerichtete Anspruch des Kindes auf eine bestmögliche, seiner Persönlichkeit gerecht werdende Erziehung. Ziel ist es, das Kind zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu machen.[273] Essenzieller Bestandteil ist dabei die angstfreie Erziehung. Kinder sind außerdem nicht Rechtsobjekte ihrer Eltern, sondern selbst Grundrechtsträger mit eigener Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit.[274] Denn in einem Rechtsstaat können bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen – also auch der Beziehung der Eltern zu ihrem Kind – grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen eingeräumt werden, die nicht zugleich pflichtgebunden sind und die Menschenwürde des anderen respektieren.[275]

 

Rz. 80

Obwohl die Erziehungspflicht eine höchstpersönliche Verantwortung der Eltern ist, muss sie nicht ausschließlich in eigener Person wahrgenommen werden. Aus Art. 6 Abs. 1 GG leitet sich das Freiheits- und damit Abwehrrecht her, über die Art und Weise der Ausgestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Den Eltern obliegt im Grundsatz die Entscheidung, wie sie ihr familiäres Leben planen und verwirklichen möchten. Dazu gehört im Rahmen der Erziehungsverantwortung auch die Entscheidungsfreiheit darüber, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten, etwa in einer staatlichen Einrichtung, betreut wird. Hierbei unterfällt es allein der Kompetenz der Eltern, ob und in welchem Umfang sie andere Personen zur Erfüllung ihres Erziehungsauftrages einbinden möchten.[276]

[272] BVerfG FamRZ 2008, 845; grundrechtsdogmatisch etwas andere Herleitung in BVerfG FamRZ 2013, 521; dazu Britz, Das Grundrecht des Kindes auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung – jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 2014, 1069; allerdings jeweils ohne ausdrückliche Auseinandersetzung mit der erstgenannten BVerfG-Entscheidung; kritisch zu beiden grundrechtlichen Herleitungen Jestaedt, Kindesrecht zwischen Elternverantwortung und Staatsverantwortung – Herausforderungen des Eltern-Kind-Verhältnisses aus verfassungsrechtlicher Perspektive, Brühler Schriften zum Familienrecht, 21. Deutscher Familiengerichtstag, S. 65 ff.
[273] BVerfG FamRZ 1999, 285; OLG Bamberg FamRZ 1991, 1341.
[274] BVerfG FamRZ 2009, 676; 2008, 2257.
[275] BVerfGE 24, 119; 79, 51; BVerfG FamRZ 2008, 845.
[276] BVerfG FamRZ 2003, 1370;1999, 285.

1. Der Begriff der Erziehung

 

Rz. 81

Unter dem Begriff der Erziehung erfasst man die Sorge für die sittliche, geistige und seelische Entwicklung zunächst des Kindes und dann des Jugendlichen, d.h. der Inbegriff aller pädagogischen Maßnahmen, durch die ein Kind erwachsen werden soll, so dass es in der Lage ist, seine Motive unter Kontrolle zu halten, seine Persönlichkeit im gedeihlichen Zusammenleben mit anderen Menschen fortzuentwickeln sowie sein Leben durch selbstständig getroffene Entscheidungen innerhalb der Rechts- und Lebensordnung der Gesellschaft zu halten.[277] Zusammenfassend ist die Erziehung das Herzstück der elterlichen Sorge.[278]

[277] Hoffmann, § 2 Rn 5; Schulz/Hauß/Hüßtege, § 1631 Rn 2.
[278] Dauner-Lieb/Heidel/Ring/Rakete-Dombek, § 1631 BGB Rn 7.

2. Grundsätze der Erziehung (§ 1626 Abs. 2 BGB)

 

Rz. 82

Für die Erziehung des Kindes enthält das Gesetz in § 1626 Abs. 2 S. 1, 2 BGB zwei Grundsätze:

die Mitwirkung des Kindes an der Entwicklung seiner Persönlichkeit im Sinne einer Partnerschaft im Eltern-Kind-Verhältnis sowie
das Gebot zum Dialog.

§ 1626 Abs. 2 BGB hebt die Verpflichtung der Eltern hervor, das Kind zu selbstständigem Handeln zu erziehen. Dabei ist es Bestandteil der partnerschaftlichen Erziehung, das Kind nach seinem Entwicklungsstand an den Fragen der elterlichen Sorge zu beteiligen.[279] Hierzu gehört auch, dass dem Kind in religiösen Angelegenheiten eine Mitentscheidungskompetenz eingeräumt wird, das Kind also nicht zwingend der Glaubensausrichtung seiner Eltern folgen muss.[280] Nur auf diesem Weg kann erreicht werden, dass das Kind bereits frühzeitig lernt, eigenverantwortlich an seinem Entwicklungsprozess mitzuwirken.

 

Rz. 83

Die Eltern haben die Verpflichtung, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Kind eine wachsende Fähigkeit und ein steigendes Bedürfnis hat, selbstständig und verantwortungsbewusst zu handeln. In diesem Kontext obliegt es den Eltern, Fragen der elterlichen Sorge mit dem Kind zu besprechen, soweit dies nach dem Entwicklungsstand des Kindes angezeigt ist. Nach dem aus § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB folgenden Dialoggebot ist Einvernehmen anzustreben, auch wenn letztendlich die Entscheidung dem Sorgeberechtigten obliegt.[281] Dieser hat grundsätzlich bis zur Volljährigkeit des Kindes die Verantwortung und damit auch den Vorrang in allen Erziehungsfragen.[282]

 

Rz. 84

Diese Kompetenz der Sorgeberechtigten wird im Ausgangspunkt durch das Wä...

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