Rz. 111

Soweit die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zusteht, gilt nach § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB das Gesamtvertretungsprinzip, d.h. sie müssen das Kind gemeinsam vertreten.[413] Abweichendes gilt lediglich, wenn entweder einem Elternteil die Sorge in ihrer Gesamtheit oder im betroffenen Teilbereich zur alleinigen Ausübung übertragen wurde oder ihm – bei verbleibender gemeinsamer Sorge – die alleinige Entscheidungskompetenz für eine einzelne Angelegenheit nach § 1628 S. 1 BGB übertragen wurde (siehe dazu Rdn 116 ff.). Rechtliche Folge der Vertretungsbefugnis der Eltern als Bestandteil der elterlichen Sorge ist, dass von den Eltern vorgenommene Rechtshandlungen für und gegen das Kind wirken.[414] Für ein etwaiges Verschulden seines gesetzlichen Vertreters haftet das Kind wie für ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB, § 51 ZPO). Das Rechtsgeschäft muss nicht zwingend von den Eltern im Namen des Kindes abgeschlossen sein; denkbar ist auch, dass das beschränkt geschäftsfähige Kind mit Zustimmung seiner Eltern handelt (§§ 107 ff. BGB) – gegebenenfalls auch mit gerichtlicher Genehmigung nach § 1643 BGB[415] – bzw. die Eltern ein Rechtsgeschäft im eigenen Namen abschließen. Soweit die Eltern jedoch über das Kindesvermögen verfügen, ist ein Handeln ausdrücklich im Namen des Kindes erforderlich, um eine Verfügung als Nichtberechtigter gemäß § 185 BGB zu vermeiden. Gleiches gilt bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen des Kindes. Eine Ausnahme sieht lediglich § 1629 Abs. 3 BGB bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vor.

[413] Siehe etwa OVG Sachsen, Beschl. v. 29.4.2014 – 2 B 413/13, juris.
[414] OLG Koblenz FamRZ 1992, 464.
[415] Zur Reichweite familiengerichtlicher Genehmigungstatbestände im Unternehmensrecht siehe Flume, FamRZ 2016, 277.

1. Gemeinschaftliche Vertretung

 

Rz. 112

Trotz des im Rahmen bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge für die Eltern grundsätzlich geltenden Gesamtvertretungsprinzips kann – im Einzelfall bzw. für einen bestimmten Kreis von Geschäften – ein Elternteil den anderen Elternteil bevollmächtigen, Erklärungen zugleich als sein Untervertreter abzugeben. Die Erteilung einer solchen Unterbevollmächtigung ist auch konkludent oder nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht möglich.[416] Als Vertreter ohne Vertretungsmacht i.S.d. §§ 177 ff. BGB handeln die Eltern, wenn sie entgegen einem Vertretungsverbot ein Rechtsgeschäft abschließen. Ein ohne die notwendige Mitwirkung des anderen Elternteils vorgenommenes Rechtsgeschäft ist bis zu dessen Genehmigung schwebend unwirksam. Fordert der Vertragspartner die Genehmigung nach § 177 Abs. 2 BGB ein und wird diese verweigert, so haftet der handelnde Elternteil nach § 179 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Gegenüber dem Kind veranlasste Erklärungen (§ 131 BGB) sind unabhängig davon wirksam, ob sie möglicherweise nur einem vertretungsbefugten Elternteil gegenüber abgegeben wurden (§ 1629 Abs. 1 S. 2 BGB, § 171 Abs. 3 ZPO).

[416] BGH FamRZ 1988, 1142.

2. Alleinvertretung eines Elternteils

a) Alleinvertretung kraft Gesetzes

 

Rz. 113

Soweit die elterliche Sorge von einem Elternteil allein ausgeübt wird, ist dieser auch zur alleinigen Vertretung des Kindes berechtigt. Das gilt sowohl in den Fällen der Sorgerechtsübertragung nach § 1671 BGB als auch bei Entzug der elterlichen Sorge zu Lasten eines Elternteils nach den §§ 1666, 1666a BGB. Kann allerdings ein Widerstreit zwischen dem wohlverstandenen Interesse des Kindes und dem des Elternteils nicht ausgeschlossen werden, etwa in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Hintergrund eines nach § 1666 BGB geführten Verfahrens, so ist der Elternteil nicht vertretungsbefugt.[417] Es muss dann beim Familiengericht die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Verfassungsbeschwerdeverfahren beantragt werden.[418]

Kraft Gesetzes besteht – trotz gemeinsamer Sorge im Übrigen – das Alleinentscheidungsrecht eines Elternteils

in den Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1687 Abs. 1 S. 2 BGB)
bei Ruhen der elterlichen Sorge (§ 1675 BGB) oder
bei rechtlichem oder tatsächlichem Unvermögen (§§ 1673 ff. BGB)
[417] BVerfG FamRZ 2009, 944.
[418] Vgl. – grundlegend – BVerfGE 72, 122, 133 ff.

b) Passive Stellvertretung

 

Rz. 114

Steht nur die Entgegennahme von Willenserklärungen in Rede, genügt nach § 1629 Abs. 1 S. 2, 2. HS BGB die Vertretung allein durch einen vertretungsberechtigten Elternteil.

c) Notvertretungsrecht

 

Rz. 115

Bei Gefahr im Verzug sieht § 1629 Abs. 1 S. 4 BGB die Berechtigung jedes Elternteils vor, die zum Wohl des Kindes erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen. Praktisch relevantester Anwendungsfall ist die Zustimmung zu einem medizinisch indizierten Eingriff, wenn der andere Elternteil trotz zumutbarer Bemühungen nicht erreichbar und eine weitere Verzögerung nicht vertretbar ist. Zwingend sieht das Gesetz in diesen Fällen allerdings eine unverzügliche nachträgliche Unterrichtung des anderen Elternteils vor. Inwieweit das Notvertretungsrecht voraussetzt, dass der handelnde Elternteil Mitinhaber der elterlichen Sorge sein muss, lässt sich dem Gesetzestext nicht eindeutig entnehmen. Die Wortwahl "jeder Elternteil" könnte ...

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