Rz. 11
Die Erbrechtsverordnung enthält Regelungen zu folgenden Komplexen:
I. Internationale Zuständigkeit
Rz. 12
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Die internationale Zuständigkeit für erbrechtliche Streitigkeiten wird in Art. 4 EuErbVO den Gerichten des Staates zugewiesen, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Zuständigkeit ist grundsätzlich ausschließlich. Allenfalls dann, wenn der Erblasser die Erbfolge durch Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO seinem Heimatrecht unterstellt hatte, ergeben sich Möglichkeiten, die Sache gem. Art. 7 EuErbVO an die Gerichte des Heimatstaates zu ziehen. Art. 10 EuErbVO sieht ergänzende Zuständigkeiten für den Fall vor, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat – also in einem Staat, in dem die EuErbVO nicht gilt – gehabt hatte. |
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Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaates kann beispielsweise dann, wenn der Erblasser im Ausland verstorben ist, seine Angehörigen und sein wesentliches Vermögen jedoch im Heimatstaat hinterlassen hat (z.B. der deutsche Unternehmer, der sich für seinen Lebensabend nach Apulien zurückgezogen hat), wegen der für die Hinterbliebenen mit der Prozessführung im Ausland verbundenen besonderen Kosten und Zeitverzögerungen den Zugang zum Nachlass erheblich behindern. Durch die weite Auslegung des Begriffs der gerichtlichen Tätigkeit durch den EuGH in der Rechtssache Oberle wird die Bedeutung der exklusiven Zuständigkeit noch ausgeweitet. Der Erblasser kann hier keine Zuständigkeit schaffen. Wohl kann er aber durch Rechtswahl seinen Hinterbliebenen ermöglichen, die Nachlassabwicklung in seinem Heimatstaat anhängig zu machen. |
II. Das auf die Erbfolge anwendbare Recht
Rz. 13
Gemäß Art. 21 EuErbVO wird das auf die Erbfolge anwendbare Recht an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpft. Dieses Recht gilt nicht nur für die Erbfolge an sich, also die gesetzliche Erbfolge, die Wirkungen einer testamentarischen Verfügung und die Pflichtteilsrechte. Auch die Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen in Form eines einseitigen Testaments, eines gemeinschaftlichen Testaments oder eines Erbvertrages unterliegt dem am gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Recht, wobei aber in Art. 24, 25 EuErbVO eine Vorverlegung des Anknüpfungszeitpunkts auf den Tag der Errichtung der Verfügung bzw. des Abschlusses des Erbvertrages angeordnet ist. So kann sich die anschließende Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Staat auf die Wirksamkeit und Bindungswirkung der Verfügung nicht mehr auswirken.
Rz. 14
Bedenken gegen die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt wurden anlässlich des Kommissionsentwurfs vom 14.10.2009 geäußert, weil der leichte Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts zu einer Instabilität führe, die gerade im Erbrecht für alle Betroffenen weitreichende Auswirkungen haben kann. Zudem wurden Probleme im Zusammenhang mit der rechtlichen Unbestimmtheit des Begriffs befürchtet. Teilweise wurde vorgeschlagen, in der Verordnung den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu definieren.
Rz. 15
Der Rat und das Europäische Parlament haben auf diese Bedenken reagiert, indem in Nr. 23 und 24 der Erwägungsgründe zur EuErbVO gewisse Richtlinien zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts aufgenommen wurden. So soll bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts die mit der Erbsache befasste Behörde eine langfristige Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen, indem alle relevanten Tatsachen berücksichtigt werden, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele dieser Verordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen.
Rz. 16
Daraus – ebenso wie auch aus der neueren Rechtsprechung des EuGH – ergibt sich, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der EuErbVO "erbrechtsspezifisch" auszulegen ist, so dass durch Betonung der langfristigen Perspektive eine gewisse Stabilität gewährleistet ist. Die bislang zur EuErbVO ergangenen Entscheidungen der deutschen Obergerichte folgen dieser Tendenz. Die Feinjustierung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts wird – obwohl der Gerichtshof hier schon einige Pflöcke in den Boden geschlagen hat – wohl noch einige Leitentscheidungen des EuGH erfordern.