Rz. 13

Gemäß Art. 21 EuErbVO wird das auf die Erbfolge anwendbare Recht an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpft. Dieses Recht gilt nicht nur für die Erbfolge an sich, also die gesetzliche Erbfolge, die Wirkungen einer testamentarischen Verfügung und die Pflichtteilsrechte. Auch die Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen in Form eines einseitigen Testaments, eines gemeinschaftlichen Testaments oder eines Erbvertrages unterliegt dem am gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Recht, wobei aber in Art. 24, 25 EuErbVO eine Vorverlegung des Anknüpfungszeitpunkts auf den Tag der Errichtung der Verfügung bzw. des Abschlusses des Erbvertrages angeordnet ist. So kann sich die anschließende Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Staat auf die Wirksamkeit und Bindungswirkung der Verfügung nicht mehr auswirken.

 

Rz. 14

Bedenken gegen die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt wurden anlässlich des Kommissionsentwurfs vom 14.10.2009 geäußert, weil der leichte Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts zu einer Instabilität führe, die gerade im Erbrecht für alle Betroffenen verheerende Auswirkungen haben kann. Zudem wurden Unsicherheiten im Zusammenhang mit der rechtlichen Unbestimmtheit des Begriffs geäußert. Teilweise wurde vorgeschlagen, in die Verordnung eine Definition des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts aufzunehmen.

 

Rz. 15

Der Rat und das Europäische Parlament haben auf diese Bedenken reagiert, indem in Nr. 23 und 24 der Erwägungsgründe zur EuErbVO (siehe CD-ROM unter Rubrik "Europa") gewisse Richtlinien zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts aufgenommen werden. So soll bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts die mit der Erbsache befasste Behörde eine langfristige Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen, indem alle relevanten Tatsachen berücksichtigt werden, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der so bestimmte gewöhnliche Aufenthalt sollte unter Berücksichtigung der spezifischen Ziele dieser Verordnung eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen.

 

Rz. 16

Daraus – ebenso wie auch aus der neueren Rechtsprechung des EuGH[19] – ergibt sich, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der EuErbVO "erbrechtsspezifisch" auszulegen ist, so dass durch Betonung der langfristigen Perspektive eine gewisse Stabilität gewährleistet ist.[20] Die bislang zur EuErbVO ergangenen Entscheidungen der deutschen Obergerichte folgen dieser Tendenz.[21] Die Gegenansicht[22] möchte an einer einheitlichen Auslegung des Begriffs im europäischen IPR festhalten und unangemessene Rechtsfolgen im Einzelfall durch Rückgriff auf die Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO vermeiden, wonach in Ausnahmefällen die Anwendung des Rechts eines anderen Staates möglich ist, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu diesem Staat hatte. Im internationalen Pflichtteilsrecht würde die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt dem Erblasser interessante Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, die freilich einseitig zu Lasten der Angehörigen gingen.

[19] EuGH, Urt. v. 22.12.2010 – C-497/10 PPU (Mercredi), FamRZ 2011, 617; EuGH, Urt. v. 2.4.2009 – C-523/07 (A), FamRZ 2009, 843; Dutta/Schulz, Erste Meilensteine im europäischen Kindschaftsverfahrensrecht: Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Brüssel IIa-Verordnung von C bis Mercredi, ZEuP 2012, 526, 534.
[20] Vor allem Steinmetz, ZEV 2018, 317.
[21] KG ZErb 2017, 199 (Grenzpendler-Fall); OLG München RNotZ 2017, 455 = FamRZ 2017, 1251 (Pflegeheim-Fall); OLG Hamm ZEV 2018, 343 (Mallorca-Fall).
[22] Dörner, ZEV 2012, 510.

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