Rz. 74

Nach Lösung aller Einzelfragen und Beantwortung auch der Vorfragen nach den jeweils einschlägigen Rechtsordnungen können sich verschiedene Folgefragen ergeben: Beispielsweise, ob es aus deutscher Sicht zu akzeptieren ist, wenn nichteheliche Kinder nicht als Abkömmlinge gelten oder nur ein reduziertes Erbrecht besitzen oder wenn die Ehefrau keinen Pflichtteil hat[54] oder wie die Herabsetzungsklage des "Noterben" bzw. eine Klage auf Bemessung von family provision im deutschen Prozessrecht zu behandeln ist. Das Fehlen eines Pflichtteils im ausländischen Erbrecht kann durch andere Rechtsfolgen, wie die Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzlichem Güterstand, Unterhaltsansprüche als Erbfallschulden etc., kompensiert werden. Beherrscht nicht dasselbe Recht zugleich die erb- und die güter- bzw. unterhaltsrechtlichen Fragen, kommt die Kompensation u.U. nicht zustande oder es ergeben sich kumulierte Begünstigungen. Verzerrungen können sich auch ergeben, wenn für einzelne Nachlassteile unterschiedliches Recht gilt (Nachlassspaltung). Für die Korrektur derartiger Fallgestaltungen (Anpassung bzw. Angleichung) sind zumeist Einzelfalllösungen zu suchen.[55]

 

Rz. 75

Im vorliegenden Fall wird der übergangene Sohn vor Gericht vortragen, die Regelung des englischen Rechts, wonach er ersatzlos enterbt werden könne, verstoße gegen den deutschen ordre public, so dass dieses Ergebnis aus der Anwendung des englischen Erbrechts gem. Art. 35 EuErbVO zu korrigieren sei. Ohne Bedeutung wird hierbei sein, dass das englische Recht eine großzügige zwingende Teilhabe für die überlebende Ehefrau vorsieht, denn damit wird die Rechtlosigkeit des Sohnes nicht kompensiert. 1992 freilich hatte der BGH noch die Regelung des in Florida geltenden Rechts, wonach dem Abkömmling kein Pflichtteil zusteht, ohne weitere Bedenken hingenommen.[56]

[54] Zur Vereinbarkeit mit dem deutschen internationalen ordre public (Art. 35 EuErbVO bzw. Art. 6 EGBGB) siehe § 5 Rdn 14.
[55] Siehe dazu § 5.

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